Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Die Revolution ist für ihn das Werk einer überindividuellen Macht, der Vorsehung. Daß sie schließlich siegen wird, daran ist nicht zu rütteln. Was die zeitlichen Mittel angeht, deren sie sich bedient, muß man sie eben so nehmen, wie sie sind. Was zählen schon Menschenleben angesichts des erhabenen Endzwecks? Kann man mit einer Lawine rechten?
Forster schreibt als französischer Sansculotte. Er sagt »wir« und »ihr«.
Das Gesicht, das die Revolution nach dem Sturz der Gironde gezeigt hat, streng, unerbittlich, militant patriotisch, antiklerikal, war nötig, um sie zu retten und das Land vor den inneren und äußeren Feinden zu bewahren, meint er. »Das echte anspruchslose Christentum des Herzens und des Geistes , ohne alle Zeremonie, ohne alle Meisterschaft, ohne Dogmen und Gedächtniskram, ohne Heilige und Legenden, ohne Schwärmerei und Intoleranz, als eine praktische Moralphilosophie mit den Palmen einer frohen Ahnung, wird anfangen aufzukeimen.«
Mit grimmiger Lust schwärmt er von den Wonnen der Bedürfnislosigkeit. Er, der das gute Leben liebt, dem es so schwerfiel, sich etwas zu versagen!
Er macht sich über die Deutschen lustig: »Es gab eine Zeit, wo man sich mit einer Art von Siegwarts-Empfindsamkeit über die Harmlosigkeit unsrer Revolution hoch erfreute; alles schien so gelassen, so friedlich abzulaufen, daß man Frankreich für das glückliche Schlaraffenland hielt, wo einem die Freiheit von selbst in den Wurf käme.« Hatte er tatsächlich vergessen, daß er auch so ein »man« gewesen war?
Von der hohen Warte männlicher Vernunft schaut er herablassend auf die Weiber herab, deren »gutmütige Schwärmerei so gern eine Unschuldswelt hervor zaubern möchte«. Es sei ihnen zu verzeihen, spottet er milde, »wenn sie über dem Punkt das All vergessen. Sie sind gewohnt, das Schauspiel der Weltbegebenheiten nur in dem Einen Gegenstande, der das Herz erfüllt, zu erblicken; und alles um sie her ist Nacht, wenn dieser Spiegel zerbricht. ›Die Guillotine‹, sagte mir neulich eine Pariserin, ›wird noch alle Regungen der Menschlichkeit ersticken. Selbst meine Kinder sprechen schon davon in ihren Spielen, und die Straßenjungen haben längst manche Katze guillotiniert; ja es heißt sogar, daß sie in einem gewissen Städtchen das Experiment an einem aus ihrer Mitte hätten probieren wollen.‹ – Mich machten diese Beispiele von angeblicher Verwilderung umso weniger bange, da ich wußte, daß diesmal einige der neuesten Auftritte die gute Frau außer Fassung gebracht hatten. Warum sollte auch Fühllosigkeit gerade das Hauptresultat einer Revolution sein, worin so manche Triebfedern wirken? Wer hält die Engländerdarum für fühlloser als andre Menschen, weil man in England wöchentlich ganze Galgen voll Diebe, Räuber und Mörder aufhängen sieht?«
Und dann die erbauliche Geschichte, die Forster seinen Lesern im 6. Brief bietet! Sie handelt von jungen Soldaten, die kontrarevolutionäre Parolen gebrüllt haben und dafür zum Tode verurteilt werden. Und zwar ausdrücklich auch von ihren eigenen Eltern, deren republikanische Strenge vor der Entscheidung durch ein reuevolles Gnadengesuch der Staatsverbrecher auf die Probe gestellt wird.
»Zwischen Bürgersinn und Elternliebe erhob sich der wunderbarste Kampf – oder darf ich Kampf nennen, was eigentlich ein Zusammenschmelzen beider Gefühle in ein unnennbares war? Die Überzeugung von der Strafbarkeit ihrer Kinder sprach augenblicklich das Todesurteil im Herzen selbst der Väter und Mütter; und zu gleicher Zeit behauptete der Schmerz über den Verlust ihrer Lieblinge seine traurigen Rechte. Ihre Tränen stürzten unaufhaltsam hervor; aber das Vaterland und die Gerechtigkeit forderten ihre Opfer. Unter lautem Weinen und Schluchzen schrien die unglücklichen Väter und Mütter mit einer sie selbst betäubenden leidenschaftlichen Heftigkeit: ›fort zum Tode mit ihnen! auf den Richtplatz! sie haben's verdient!‹ – Es blieb kein trocknes Auge weder im Konvent noch unter den Tausenden von Zuschauern.«
* * *
Paris, im Winter 1793. Forster ist wieder in seiner Dachkammer im Hôtel des Patriotes Hollandais , allein. Adam Lux ist den Liebestod für Charlotte Corday gestorben. Der glücklose General Custine ist als Vaterlandsverräter hingerichtet worden. Thomas und Jane Christie haben Frankreich verlassen. Oelsner ist in die Schweiz geflohen, Thomas Paine sitzt im Gefängnis, ebenso Graf Schlabrendorf. Mary Wollstonecraft lebt mit dem Amerikaner
Weitere Kostenlose Bücher