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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Naumann
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Standesdünkel bis aufs Blut reizte und ihr es mit dem Engagement für die arme, hart arbeitende Unterschicht heiliger Ernst war.
    Nehmen wir etwa die von ihr zitierte Stelle, in der Burke beschreibt, wie die königliche Familie unter dem Johlen der Marktweiber von Versailles nach Paris geführt wird: »Währenddessen wurden die königlichen Gefangenen langsam vorwärts bewegt, unter gräßlichem Gekreische und schrillem Geschrei und rasenden Tänzen und schändlichen Unverschämtheiten und all den unaussprechlichen Abscheulichkeiten der höllischen Furien in Gestalt der gemeinsten Weiber.« Mary zu Burke: »Wahrscheinlich meinen Sie Frauen, die ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Gemüse oder Fisch bestreiten und niemals die Vorteile einer Erziehung genossen haben.« Immer wieder gelingen ihr prägnante Formulierungen: »Sicheres Eigentum! Das ist in wenigen Worten die Definition der englischen Freiheit.« Und natürlich ist deutlich, wogegen sie polemisiert, gegen Burkes Verklärung der historisch sanktionierten Klassengesellschaft.
    Aber um ihr Pamphlet wirklich verstehen zu können, muß man es gründlich studieren. Schon für ihre Zeitgenossen kann es nicht leicht gewesen sein, ihren Gedankengängen zu folgen. Sie hätten bei der Lektüre natürlich Burkes Reflections zur Hand haben müssen, außerdem die Revolutionspredigt von Price; sie hätten einiges wissen müssen über die englische Geschichte und Verfassung, die Regierung, das Parlament, den Zustand der Gesellschaft, das Lebenswerk von Price, Burkes politische Biographie. Und über die kunstphilosophische Abhandlung Philosophical Inquiry into the Origins of our Ideas of the Sublime and Beautiful , die er in jungen Jahren verfaßt hatte.
    Das Schöne sei wie die Frauen, in die Männer sich verlieben, also klein, zart, von delikater Gesundheit, schwach, hilfsbedürftig – je hilfsbedürftiger, desto besser –, behauptete er darin. Männliche Tugenden wie Stärke, Gerechtigkeit und Weisheit rufen Bewunderung oder gar Schrecken hervor, aber keine Liebe. »Wir unterwerfen uns dem, was wir bewundern, aber wir lieben, was sich uns unterwirft.« Eine in Schmeichelei verpackte geistige Entmündigung der Hälfte der Menschheit also, die leider nicht originell war. Der Widerspruch, den Mary dagegen einlegte, ist in der Vindication of the Rights of Men ein sperriger Exkurs. Ein gutes Jahr später wurde daraus ein eigenes Buch.
    Totalrevolution
    Milton goes on , meldet Füssli am 29. Mai 1792 einem Freund, dem in Liverpool lebenden Anwalt und Schriftsteller William Roscoe. Gerade hat der Stecher Sharpe ihm das Gemälde Satan, Tod und Sünde (auch Satan und Tod, von der Sünde getrennt) zurückgeschickt, das er als Vorlage zwei Monate im Hause gehabt hatte. Für den Transport des monumentalen Bildes (ca. drei Meter breit und vier Meter hoch) hatte Thomas Paine eigens einen Aufrollmechanismus konstruiert. Er sei ein ebenso guter Mechaniker wie Demogorgon, kommentierte der Maler wortspielend, Demagoge und Gorgo zum Bürgerschreck verbindend, und kündigte an, daß auch die Eva fertig sei und zum Stecher gehen könne.
    * * *
    Vor der Glorious Revolution hatte es in England durch Cromwell eine weit radikalere Umwälzung gegeben, deren Andenkennicht gefeiert wurde. Sie spaltete die politische Klasse in Parteien, »rechte« konservative Tories und »linke« liberale Whigs, und ersetzte die Vorstellung vom Gottesgnadentum der Herrscher durch die Forderung nach ihrer Legitimation durch Volksvertreter. Zum erstenmal in der Geschichte wurde ein König (Charles) vor Gericht gestellt und exekutiert, England für einige Jahre zur Republik, die zur Militärdiktatur entartete, die in eine Restauration umschlug, der die konstitutionelle Monarchie folgte …

    25  Die Erschaffung der Eva. Ölgemälde
von Johann Heinrich Füssli, 1793.
    Stürmische Zeiten. Nur die letzte Wende hat John Milton nicht mehr miterlebt (er starb 1674), der seine Karriere als Dichter und kämpferischer Publizist begann. Ein Anhänger Cromwells, diente er in dessen Staatsrat als Geheimschreiber und verteidigte die Hinrichtung des Königs. Nach der Restauration wurden seine Schriften verbrannt, er selbst entging der Verhaftung und dem Tod nur knapp. Verarmt und völlig erblindet, hat er sein großes Bibelepos, eine tiefsinnige Meditation über Herrschaft und Freiheit, Schreibern diktieren müssen. Die Wahl des Stoffes, der das Schicksal der Menschheit an die Beziehung eines Paares bindet, erwies

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