Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
wurde ich aus diesem Märchenland plötzlich durch das Erscheinen eines Freundes [John Hurford Stone] gerissen, der ins Zimmer stürzte und uns in großer Erregung berichtete, daß gerade ein Dekret von der Nationalversammlung verabschiedet worden sei, demnach alle Engländer in Frankreich innerhalb von 24 Stunden festgenommen und ihre Besitztümer konfisziert werden sollten.«
Die Williams-Frauen verbrachten die Nacht und den folgenden Tag in großer Angst und Unruhe, in Erwartung der Kommissare und der Wachen des Revolutionskomitees. Gegen Abend erfuhren sie, daß die meisten ihrer englischen Bekannten ins Gefängnis gebracht worden waren, unter ihnen auch Stone und seine Frau Rachel.
»Endlich kam die Nacht, und da immer noch keine Kommissare erschienen waren, begannen wir uns mit der schmeichelhaften Vermutung zu beruhigen, daß wir als Familie von Frauen erst einmal verschont bleiben sollten, denn die Zeit war gerade erst angebrochen, wo weder Geschlecht noch Alter Anspruch auf Mitleid hatte. Von Müdigkeit und Aufregung übermannt, gingen wir zu Bett, in der schwachen Hoffnung, dem Schicksal unserer Landsleute entgehen zu können. Aber diese Hoffnungwährte nicht lange. Um zwei Uhr morgens wurden wir durch ein lautes Klopfen an der Tür unseres Hauses geweckt, das verhängnisvolle Signal unserer bevorstehenden Verhaftung, wie wir wohl wußten. Ein paar Minuten später wurde unsere Wohnungsglocke heftig geläutet. Meine Schwester und ich warfen eilig unsere Kleider über und gingen mit zitternden Schritten ins Vorzimmer, wo wir zwei Kommissare des Revolutionskomitees unserer Sektion [ 24 ] antrafen, in Begleitung einer Garde. Zwei Gardisten wurden mit gezogenem Schwert vor der äußeren Tür postiert, während die übrigen das Zimmer betraten. Eine dieser Autoritäten hielt ein Blatt Papier in der Hand, eine Kopie des Dekrets der Nationalversammlung, das er uns vorlesen wollte. Aber wir lehnten das ab und sagten ihm, wir seien bereit, dem Gesetz zu gehorchen. Als er sah, daß wir blaß waren und zitterten, versuchten er und seine Kollegen uns zu trösten; sie baten, wir sollten uns fassen; sie wiederholten, daß unsere Verhaftung nur Teil einer generellen politischen Maßnahme sei und daß die Unschuld nichts zu fürchten habe, – Ach! Unschuld war leider nicht länger ein Garant für Sicherheit.
Sie registrierten unsere Namen, unser Alter, das Land, wo wir geboren waren, die Länge unseres Aufenthalts in Frankreich, und als sie damit fertig waren, wurde uns gesagt, daß wir uns zum Aufbruch bereit machen sollten. Jeder von uns durfte soviel frische Wäsche mitnehmen, wie wir in ein Tuch einbinden konnten; alles übrige fiel dem Dekret gemäß an die Nation.
Unter dem Druck eines großen Unglücks werden manchmal die lebhaftesten Empfindungen durch kleine Umstände hervorgebracht, die einen Teil des Ganzen bilden und, wie bestimmte Punkte einer Landschaft, im Rückblick der Erinnerung dazu dienen, sich die umgebende Szenerie vor Augen zu stellen: Von dieser Art ist das Gefühl, mit dem ich mich an den Augenblick erinnere, als wir nach dem Verlassen unserer Wohnung von Wachen umringt im Treppenhaus standen, während die Kommissare unsere Türen mit Siegeln versahen. Der Kontrast zwischen dem Gefängnis, in das man uns bringen würde, und dem Zuhause, das uns nun verschlossen war, vielleicht für Jahre, erfüllte mein Herz mit einem Schmerz, für den die Sprache keinen Ausdruck hat.«
11 Palais du Luxembourg.
Auf der Treppe begegnete ihnen der Dichter André Chénier, der im gleichen Haus wohnte wie sie. Er wagte nicht, sie zu grüßen. Die Nacht verbrachten sie im Kommissariat, in einem Raum voller Soldaten, deren »revolutionären Scherzen« die verängstigten Frauen zitternd lauschten. Alle halbe Stunde erschienen Wachen mit neuen englischen Gefangenen, die bald wieder fortgeschafft wurden, während sie noch einen vollen Tag ausharren mußten. Hinterher erfuhren sie, daß dieser Aufschub der Menschlichkeit »ihrer« Kommisssare geschuldet war, die ihnen möglichst gute Haftbedingungen verschaffen wollten. Am Abend wurden sie in den Palais du Luxembourg gebracht, der nun als Gefängnis diente. »Wie war mir zumute, als wir durch die Straßen vonParis fuhren und die Treppen des Palastes hochstiegen, ein trauriges Schauspiel für die Menge!«
Dort wurden sie überaus höflich von Monsieur Benoit, dem concièrge des Gefängnisses, empfangen, einem Mann, »dessen Namen viele Unglückliche gesegnet
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