Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
sich in Gruppen. Einige unterhielten sich, andere gingen auf und ab, wieder andere blickten aus dem Fenster auf die Wege unten, wo sie vielleicht einen Verwandten oder Freund erspähten, dem man die Erlaubnis zu einem Gefängnisbesuch verweigert hatte und der nun gekommen war, um ihre Leiden mit einem Blick oder einer Träne der Anteilnahme zu lindern. Während der ersten Tage unserer Haft war es den Gefangenen erlaubt, ihre Freunde zu sehen, und der Kontrast von heiteren und traurigen Szenen, die im Vorzimmer spielten, war frappierend. Hier unterhielten lebhafte junge Leute ihre Besucher mit tausend kleinen Scherzen über ihre Lage; dort nahm ein Ehemann, der Gefangener war, Abschied von seiner Frau, die gekommen war, um ihn zu sehen, und vergoß Tränen über sein Kind, das sich an seine Knie klammerte und sich dagegen sträubte, vom Vater weggerissen zu werden. Als die Zahl der Gefangenen wuchs, was so schnell geschah, daß sie in weniger als einer Woche von hundert auf tausend gestiegen war, wurden die Gefängnisregeln strenger, und die Polizeiverwaltung erteilte den strikten Befehl, daß niemand mehr eingelassen werden sollte. Danach kamen die Frauen voneinigen Gefangenen regelmäßig jeden Tag und brachten ihre Kinder auf die Terrasse des Gartens. Oft sah man, wie eine Mutter weinte und die Kinder ihre kleinen Hände ausstreckten und auf ihre Väter zeigten, die ihren Blick auf ihre Lieben hefteten; aber manchmal unterdrückte ein unfreundlicher Wachposten diese traurigen Ergießungen zärtlicher Empfindung, indem er die Menschen auf den Wegen aufforderte, sich fernzuhalten und den Gefangenen keine Zeichen zu geben.
In der Menge, die den Gemeinschaftsraum füllte, waren vornehme Herren und Damen, die am Hof den höchsten Rang bekleidet hatten. Einige flirteten miteinander, andere verabredeten sich für den Abend zum Kartenspielen oder Musizieren in ihren Räumen, und wieder andere erzählten uns in großer Bewegung, was sie gelitten und durch die Revolution verloren hatten. Es war unmöglich, nicht mit dem Leid der einen mitzufühlen oder sich nicht über die Torheit der anderen zu wundern, deren Hochmut größer war als die Angst um ihr Leben und die, obwohl das entsetzliche Dekret gerade erlassen worden war, das ›Terror auf die Tagesordnung‹ setzte, und obwohl sie wußten, daß ein hoher Rang der sicherste Paß zur Guillotine war, dem Gebrauch der althergebrachten Formeln von Madame la duchesse, Monsieur le comte etc. nicht widerstehen konnten, die von ihren Lippen so natürlich wie Melodien flossen, an die das Ohr seit langem gewöhnt ist und die die Stimme unwillkürlich wiederholt. Doch es gab unter dem inhaftierten Adel auch viele Personen, die sich als wahre Freunde der Freiheit erwiesen hatten, bedeutende Opfer für sie gebracht hatten und von den Revolutionskomitees unter den trivialsten Vorwänden und manchmal auf Grund absurder Irrtümer ins Gefängnis geworfen worden waren.
Gefangenschaft hier war aber nicht mehr nur exklusiv dem ehemaligen Adel vorbehalten. Es gab Priester, Ärzte, Kaufleute, Ladenbesitzer, Schauspieler und Schauspielerinnen, französische Kammerdiener und englische Zofen, die alle im Gemeinschaftsraum versammelt waren.
Neben dramatischen Geschichten von Schlössern, die demErdboden gleichgemacht worden waren, und Palästen, wo ›man den Fuchs aus dem Fenster sehen konnte‹ [ 26 ] , hörten wir manchmal Klagen, die nichts mit Größe und Bedeutung zu tun hatten, aber ebendeshalb das Herz unwiderstehlich ergriffen. Von dieser Art war eine Szene, die sich manchmal zwischen einer armen Engländerin und ihrem Hund abspielte, den sie mitgenommen hatte, damit er ihr in der Gefangenschaft Gesellschaft leistete. Sie war Haushälterin in einer französischen Familie gewesen und hatte einige Monate vor ihrer Gefangennahme ihre Tochter, die ihr einziges Kind war, zu Freunden nach England geschickt. Diese arme Frau brach oft in Tränen aus und rief ›O Charlotte, Charlotte, ich werde dich nie wiedersehen!‹ Wenn immer der Hund den Namen Charlotte hörte, fing er so melancholisch an zu heulen, daß es unmöglich war, nicht mit seiner Klage mitzufühlen.
Das allerschlimmste während unserer Haft waren die Besuche von Henriot, dem Kommandanten der Militärmacht von Paris. Dieser Schurke war einer der Mörder vom 2. September gewesen und von der Kommune von Paris am 31. Mai zum Kommandanten der Nationalgarde ernannt worden, um die Kanone gegen den Konvent zu richten, der
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