Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
ausschweifenden Lebenswandels älter als seine Jahre. Er hatte sich die gewählten Manieren bewahrt, die seine Klasse auszeichneten. Er verstand sich auf die Zeichenkunst und zeigte seine Fertigkeit in schönen Landschaften, die er während seiner Gefangenschaft anfertigte. Er unterhielt sich auch mit der Lektüre von historischen Werken, und da er selbst über eine beträchtliche literarische Begabung verfügte, hatte er die Ereignisse der Revolution in lebhaften Farben geschildert, an denen er wesentlich mitgewirkt und über die er viele wichtige Details gesammelt hatte. Mit großem Bedauern erzählte er mir, daß er mehrere Manuskriptbände den Flammen überantwortet hatte.
Sillery war gegen sein nahes Schicksal weniger gewappnet als Lasource. Der alte Mann sah oft in die Vergangenheit zurückund weinte und fragte manchmal mit ängstlichem Gesichtsausdruck, ob wir an die Möglichkeit seiner Befreiung glaubten. Ach, ich habe keine Worte, um die Empfindungen dieser Augenblicke zu schildern! – Zu wissen, daß die Tage unserer Mitgefangenen gezählt waren – daß sie dem Untergang geweiht waren – daß das blutige Tribunal, vor dem sie bald erscheinen würden, nur der Durchgangsweg zum Schafott sein würde – die schmerzliche Pflicht zu haben, unsere Gefühle zu unterdrücken, während wir uns bemühten, die menschliche Schwäche durch Hoffnungen zu stützen, von denen wir wußten, daß sie trügerisch waren, all das war fast unerträglich.«
Einigen Trost fanden die beiden Männer im Glauben. Sie dichteten und komponierten eine kleine Hymne, die sie jeden Abend ganz leise sangen, bevor sie in ihre Räume zurückkehrten. »Diese klagenden Laute, das Grabgeläute meiner scheidenden Freunde, lassen mein Herz immer noch erschauern!«
Am Morgen bevor der Prozeß gegen sie und ihre Mitangeklagten endete, dessen Verlauf sie Helen bei ihren abendlichen Zusammentreffen schilderten, erfuhren die Frauen, daß sie am nächsten Tag aus dem Luxembourg in ein Kloster im Faubourg St. Antoine überführt werden sollten. »Mit welch lebhaftem Bedauern empfingen Lasource und Sillery diese Nachricht! Tausende und Abertausende Male dankten sie uns für die Gefahren, die wir auf uns genommen hatten, indem wir sie empfangen hatten, und für die Anteilnahme, die ihnen die letzten Stunden ihres Lebens leichter gemacht hatte – tausendmal gaben sie uns die heiligste Versicherung unverbrüchlicher Dankbarkeit und Freundschaft, sollten sie überleben; aber sie wußten wohl, wie gering die Aussicht war, daß wir uns in dieser Welt noch einmal sehen würden. Sillery schnitt eine Locke von seinen weißen Haaren ab, mit der Bitte, ich möge sie zur Erinnerung an ihn bewahren, und Lasource gab mir die gleiche Reliquie.«
* * *
Brissot, Vergniaud, Gensonné, Lasource, Fonfrède, Sillery, Ducos, Carra, Duperret, Gardien, Duprat, Fauchet, Beauvais, Duchâtel, Mainvielle, La Caze, Lehardy, Boileau, Antiboul, Vigée.
»Den 31sten Mittags elf Uhr führte man die Verurteilten auf drei Karren nach dem Gerichtsplatz. Auch hier verließ sie nicht ihre bisherige Standhaftigkeit: nur an Fauchet, Fonfrede, Brissot und Karra bemerkte man einige Bestürzung. Die Übrigen schienen vergnügt, lächelten, sangen oder stimmten mit ein in das Geschrei des Volks: Es lebe die Republik! In der Straße St. Honoré bei dem Platze Vendôme riefen mehrere Bürger: ›Sterben müssen die Verräter!‹ Diesen antwortete Duprat: ›Wir sterben frei; ihr aber lebt als Sklaven einer Faktion.‹ Auf dem Richtplatze stellte man sie in drei Reihen. Alle bestiegen das Blutgerüste mit Standhaftigkeit, und ihre letzten Worte enthielten Wünsche für das Wohl der Nation und für die Freiheit. Als Achte hingerichtet waren, beschäftigten sich die Knechte des Scharfrichters ihre Leichname wegzuräumen. Duprat stimmte unterdessen die Strophe aus dem Hochgesang der Marseiller an. Seine Kollegen sangen sie weiter, und so beugten sie ihr Haupt unter dem Mordeisen der Guillotine. Gegen 1 Uhr war die Exekution geendigt, worauf sich das Volk unter dem Geschrei ›es lebe die Republik! es lebe der Berg! [ 29 ] ‹ ruhig entfernte.«
Vossische Zeitung, Berlin 1793, Nr. 138
Am 7. November wurde der Herzog von Orléans – Philippe Egalité – hingerichtet.
Am 8. November verlor Helen ihre bewunderte Freundin, die kluge, charismatische Madame Roland. Die Kunst des Sterbens! Madame Roland setzte wie viele Verurteilte einen trotzigen Stolz darein, bei ihrem letzten
Weitere Kostenlose Bücher