Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
untergebracht waren, gab es noch zwei weitere Räume. Sie waren vom Gemeinschaftsraum durch einen kurzen Gang und eine Tür getrennt, die abends verschlossen wurde. Der Zufall wollte es, daß diese Zimmer mit zwei Abgeordneten belegt waren, in deren Gegenwart Helen viele angenehme Stunden verbracht hatte: dem 56jährigen Charles-Alexis de Brûlart de Genlis, Marquis de Sillery, und dem dreißigjährigen Lasource. Einem Aristokraten des Ancien régime und einem Revolutionär der ersten Stunde. Höchst ungleiche Schicksalsgenossen, die nun gemeinsam auf ihren Prozeß und den sicheren Tod warteten.
»Sillery, der krank war, hatte unter großen Mühen die Erlaubnis erwirkt, daß sein Diener tagsüber zu ihm ins Gefängnis kommen durfte, zusammen mit einer alten Freundin, die inständig darum gebeten hatte, ihn pflegen zu dürfen – mit jener Beredsamkeit, die das Unglück verleiht und der manchmal auch die verhärtetsten Herzen nicht widerstehen können. Während die Männer über unser Geschlecht in so vielen Bereichen Superiorität beanspruchen, sollten sie uns wenigstens die Palmeder Beständigkeit zusprechen und anerkennen, daß wir ihnen in Hinblick auf Treue und Beständigkeit unserer Neigungen überlegen sind. Diese Gefängnisse, vor denen die Männer entsetzt zurückschreckten und wo sie oft ihre Freunde im Stich ließen, aus Angst, sie könnten in ihr Schicksal verwickelt werden – Frauen, bei denen die Stärke des Mitgefühls über die weibliche Schwäche der Furchtsamkeit siegte, forderten und erwirkten manchmal die Erlaubnis, sie besuchen zu dürfen. Da Sillerys Freundin und sein Diener die Erlaubnis hatten, bei ihm ein und aus zu gehen, war die Tür nicht beständig geschlossen, obwohl er und Lasource in strengem Gewahrsam gehalten wurden und ihnen der Umgang mit den anderen Gefangenen verboten war.
In der zweiten Nacht unseres Aufenthalts im Luxembourg, als der Wärter die Tür verschlossen hatte, betrat Lasource unser Zimmer. Ach, wie anders war dieses Treffen als die angenehmen gesellschaftlichen Begegnungen früherer Zeiten, deren Unterhaltung er durch seine glänzende, feurige Beredsamkeit bereichert hatte! Er stammte aus dem Languedoc und verband seine geistigen Gaben mit der lebhaften Wärme der Einbildungskraft, für die die südlichen Provinzen Frankreichs seit der Zeit der Troubadoure bekannt sind. In seinem Betragen war er höflich und liebenswürdig, er hatte musikalische Neigungen und eine mächtige Stimme und sang, wie er sprach, mit der ganzen Kraft seiner Empfindung. Wenn er den Tag in ermüdenden öffentlichen Debatten zugebracht hatte, war er froh, am Abend die politischen Tumulte im Gespräch mit den Literaten vergessen zu können, die er gelegentlich bei uns traf. Ach, wir ahnten damals nichts von den Schrecken einer Zeit, da wir ihn in der Düsternis eines Gefängnisses treffen sollten, ein dem Tode geweihtes Opfer, mit dem zu sprechen für uns sehr gefährlich war!
Wir mußten uns im Flüsterton unterhalten, während wir abwechselnd an der äußeren Türe Wache hielt, damit er sofort in sein Zimmer flüchten konnte, sobald sich außen ein Schritt näherte. Er hatte viel zu fragen, da er drei Monate lang in Sicherheitsverwahrung gewesen war und wenig von dem wußte, was draußen in der Welt passierte; und obwohl er seine verzweiflungsvolle Lage durch den Trost zu vergessen schien, den ihm diese Augenblicke vertrauter Unterhaltung gewährten, klagte er oft darüber, daß dieser letzte Freudenschimmer mit dem Preis unserer Gefangenschaft erkauft war. In der Einsamkeit seines Gefängnisses hatte keine Stimme der Freundschaft, keine Äußerung des Mitleids sein Ohr erreicht; und nach unserer Ankunft pflegte er die Stunden zu zählen, bis die Gefängnistore geschlossen wurden, bis drinnen alles still war, abgesehen von gelegentlichen heiseren Rufen der Wachen, und er zu unserem Zimmer hastete. Die Entdeckung dieser Besuche hätte für uns die verhängnisvollsten Folgen gehabt, aber unser Mitgefühl war stärker als unsere Angst; und was immer daraus folgen mochte, wir brachten es nicht fertig, unserem anhänglichen Freund diese letzte melancholische Freude zu versagen.
Bei seinem zweiten Besuch wurde Lasource von Sillery begleitet, dem Gatten von Madame de Sillery, deren Schriften in England so bekannt sind. Er war etwa 60 Jahre alt, hatte ein Leben als Libertin geführt, wie es ehemals für Männer seines Standes in Frankreich üblich gewesen war, und wirkte wegen dieses
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