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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Naumann
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und unsere Namen auf eine Liste zu schreiben, die nach jeder Dekade an den Wohlfahrtsausschuß geschickt wurde. Und damit die ländlichen Behörden die Absichten des Komitees nicht mißverstanden und Individuen, die sich als Freunde der Revolution ausweisen konnten, mit Milde behandelten, wurde diesen bereitwilligen Opfern per Dekret befohlen, ihre Bürgerbriefe (certificates of civism) zu verbrennen.
    Die Williams-Frauen bekamen ihren Passierschein am 26. April, dem allerletzten Termin, und reisten sofort ab, in Begleitung von John Hurford Stone, der an ebendiesem Tag aus der Haft entlassen worden war. Seine Frau begab sich allein nach Passy, einem Dorf an der Seine.
    »Unsere Nachbarn kamen weinend an unsere Tür, um Abschied von uns zu nehmen; und die Armen, die nun die einzige Klasse waren, die es wagten, eine Beschwerde zu äußern, murrten über die Ungerechtigkeit des Dekrets. Wir mußten den Platzder Revolution passieren, wo wir die aufgerichtete Guillotine sahen und die Menschenmenge, die auf die blutige Tragödie wartete, und die Gendarmen zu Pferde, die den Opfern folgten, die gerade auf den Platz kamen. Das war das alltägliche Schauspiel, das den Wanderbühnen, dem Tanz, dem Gesang, den wechselnden Szenen harmloser Vergnügungen folgte, die die fröhliche Menge auf ihrem Weg von den Tuilerien zu den Champs-Élysées ehemals angezogen hatten.
    Wir erreichten unsere kleine Behausung gegen Sonnenuntergang. Die Hügel waren von Wolken gesäumt, die noch die verblassenden Farben des Tages widerspiegelten; die Wälder lagen in tiefem Schatten; ein sanfter Schleier lag über der Natur. Die Luft war voller Wohlgerüche, und die Stille dieser Szenerie wurde nur durch die wohltuendsten aller Naturlaute, das sanfte Rascheln des Laubs und die klagenden Töne der Waldtauben, gebrochen.
    Unsere Wohnung lag nur ein paar Schritte entfernt vom prächtigen Park von Marly; und die verlassenen, von hohem Gras überwachsenen Alleen – die Felsblöcke, über die einst Kaskaden geströmt waren, deren murmelnde Wasser verstummt waren – die zu Haufen aufgetürmten Trümmer des Marmors, der einst das Bett kristallener Wasserbecken gebildet hatte – die überall verstreute Maschinerie der Wasserspiele, deren Quellen ausgetrocknet sind – die niedergestürzten Statuen – die ausgelöschten Symbole des Feudalismus – das Unkraut, das zwischen den steinernen Stufen des verlassenen Palastes wuchs – die von Spinnweben überzogenen Fenster der heiteren Pavillons –, all das paßte zu der nachdenklichen Stimmung, die unsere Lage natürlicherweise in uns hervorrief. Und hier, wo wir von Paris nur die entfernte Kuppel des Pantheon sehen konnten, wären wir weniger unglücklich gewesen, wenn wir nicht zu gut gewußt hätten, daß der Wohlfahrtsausschuß die Aristokraten und die Ausländer nicht aufs Land geschickt hatte, um die frische Luft zu genießen oder sich der Schönheiten des beginnenden Frühlings zu erfreuen, sondern als ersten Schritt zu einer kollektiven Proskription.«
    Durch Fürsprache einflußreicher Bekannter konnten sie bald nach Paris zurückkehren. Helen berichtet, zwei menschenfreundliche Kommissare hätten mit ihrem Leben für sie gebürgt.
 
    Im Juni wurde Stone von seiner Frau geschieden. (Helen hat ein Vierteljahrhundert später Rachel den schwarzen Peter zugeschoben. Schon vor ihrer (Helens) Bekanntschaft mit Stone habe es Probleme in seiner Ehe gegeben, seine Frau sei eine widerwärtige Person gewesen, in Paris habe sie sich mit Verehrern umgeben und sich dann, »trotz unserer Ratschläge dagegen«, die neuen Scheidungsgesetze zunutze gemacht und von ihrem Mann getrennt, der um diese Zeit sein Vermögen eingebüßt habe und in den Haushalt der Williams aufgenommen worden sei. Wer's glaubt!)
    Daß Helen und Stone bald danach einen Paß zur Ausreise in die Schweiz bekamen, verdankten sie seinen ausgezeichneten Beziehungen zu Barère – Bertrand Barère de Vieuzac –, der als Mitglied des Wohlfahrtsausschusses für die Außenpolitik zuständig war, und der Tatsache, daß Stone in England wegen seiner konspirativen Beziehungen zu einem irischen Freiheitskämpfer mittlerweile als Hochverräter galt. Da man ihn selbst nicht einsperren konnte, war Anfang Mai sein Bruder William als mutmaßlicher Mitwisser und Komplize in London verhaftet worden. Um dessen Leben zu retten, sei die Ausreise der Bürger Stone und Williams nach Basel unbedingt nötig, machte ihr Fürsprecher geltend. Zudem würden sie

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