Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
vor dem geliebten, gehaßten Tyrannen, lebte mit der Angst. »Niemals sicher, was er in seinem Vater finden würde. Würde er heute liebevoll und freundlich und warm sein? Oder würde er die Haut seines Sohnes abziehen? Mit einem Blick, einem Wort. Den Jungen nackt und beschämt zurücklassend. Wissend, daß er schwach und bedürftig, dumm und selbstsüchtig war. So daß der Junge eine äußere Schale wachsen ließ, um die Gewalt aushalten zu können. Aber wenn diese Häuteauch zarte junge Seelen retteten, hörten sie bald auf zu schützen und wurden zum Problem. Denn während die harte Schale den Schmerz in Schach hielt, so ließ sie auch kein Licht ein.«
Georg war zehn Jahre alt, die Mutter wieder schwanger, als Johann Reinhold ihn 1765 auf eine mehr als einjährige Erkundungsreise nach Rußland mitnahm. Im Auftrag der dortigen Regierung sollte er zu den deutschen Siedlern an die untere Wolga reisen, um dann mit einem Bericht Gerüchten über deren üble Lage entgegenwirken zu können, wollte aber auch eigene naturkundliche Forschungen treiben. Sein Memorandum fiel kritischer aus, als es den Auftraggebern lieb war. In der Hoffnung auf eine feste Anstellung in Rußland, die man ihm in Aussicht gestellt hatte, überzog er seinen Urlaub. Zu Hause brachte Justina die Familie mit dem Verkauf seiner Bücher notdürftig durch. Graf Orlow, der Günstling der Zarin Katharina, wich einem Treffen aus. Im Mai 1766 erfuhr Johann Reinhold, daß man seine Pfarrstelle inzwischen neu besetzt hatte, die Russen hielten ihn weiter hin. Schließlich kündigte er seine Abreise in der Petersburger Zeitung an.
»Der Graf schickte darauf einen Sekretär an ihn mit der Frage: was er für seine Dienste verlange? Johann Reinhold gab zur Antwort: er glaube zweitausend Rubel verdient zu haben, setzte aber hinzu: wenn ihm der Graf eine Kopeke über 1000 Rubel gebe, wolle er auch zufrieden sein, aber die abgeschlossene Summe von tausend Rubel allein nähme er nicht an. – Darauf ließ man ihn gehen, ohne ihm die geringste Belohnung zu geben.«
Was nun? Johann Reinhold Forster beschloß, sein Glück in England, der Heimat seiner Vorfahren, zu suchen, und wieder nahm er Georg mit. Doch die Suche nach einer Versorgung gestaltete sich ausgesprochen mühsam. Erst 1768 fand er eine Stelle als Lehrer für Naturgeschichte an der Dissenting Academy in Warrington, als Nachfolger von Joseph Priestley. Endlich konnte die in Nassenhuben festsitzende Familie nachkommen. Johann Reinhold haßte das Unterrichten, kam mit den Schülern nicht zurecht, was er durch exzessive Härte auszugleichen suchte, undzerstritt sich mit den Kollegen. Schon ein Jahr später war er wieder arbeitslos. Mit wissenschaftlichen und literarischen Veröffentlichungen kämpfte er ums Überleben und gegen Schulden, wobei ihm Georg eine unentbehrliche Stütze war. Er gab Privatstunden, unterrichtete seine Geschwister und übersetzte am laufenden Band, meist Reisebeschreibungen, die der Vater dann frei bearbeitete, mit Widmungen, Vorworten und Anmerkungen versah und unter seinem Namen veröffentlichte.
13 Johann Reinhold Forster und Georg Forster.
Ölgemälde von John Francis Rigaud.
So hielten sie es auch mit Georgs Übersetzung der Voyage autour du monde des französischen Reisenden Louis Antoine de Bougainville, die durch die Schilderung der neuentdeckten Insel Tahiti »mit ihrer paradiesischen Promiskuität« Sensation gemacht hatte. Bougainville war kurz vor der englischen Konkurrenz – James Cook – dort gewesen, der im Juli 1771 von seiner ersten großen Reise nach London zurückkehrte und unverzüglich begann, eine zweite Expedition mit den beiden Schiffen Resolution und Adventure vorzubereiten. Als Naturforscher wollte er wieder den »unermüdeten« Joseph Banks mitnehmen.
Doch Banks' extravagante Wünsche zum Umbau des Flaggschiffes Resolution führten zum Streit mit der Admiralität und seinem Rücktritt von der Reise. Ende Mai 1772 ließ Lord Sandwich von der britischen Admiralität bei Johann Reinhold Forster als dem Übersetzer Bougainvilles anfragen, ob er bereit sei, kurzfristig für Banks einzuspringen. Das war damals ungefähr so, wie heute das Angebot zur Teilnahme an einer Weltraumexpedition. Ungläubiges Staunen, Begeisterung, fieberhafte Geschäftigkeit. Zur Vorbereitung und den nötigen Besorgungen – darunter ein kleiner Schreibschrank aus Mahagony – blieb ja nur äußerst wenig Zeit. Auf Johann Reinholds Bedingungen – die Familie sollte
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