Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
während seiner Abwesenheit finanziell unterhalten werden und Georg ihn als Zeichner begleiten dürfen – war man eingegangen. Am 23. Juli liefen die Schiffe in Plymouth aus. Die beiden Forsters werden an Deck gestanden und zurückgeblickt haben, Seite an Seite, der große, stattliche Vater und der schmächtige Sohn.
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Ziemlich genau drei Jahre später waren die Forsters wieder in London und wurden gefeiert, wenn auch natürlich weit weniger als der local hero Captain Cook. Was hatten sie nicht alles erlebt und erbeutet! Kisten voller exotischer Pflanzen und Tiere, Gebrauchsgegenstände der Eingeborenen, Georgs Zeichnungen und Aquarelle – insgesamt 572 Blätter –, detaillierte Beschreibungen, Aufzeichnungen über schlechthin alles, was ihnen unterwegs begegnet war, Fauna und Flora, Physiognomien, Sitten und Gebräuche von Völkern, die vor ihnen keiner besucht hatte, Geschichten, Erinnerungen, Eindrücke, Bilder über Bilder, paradiesisch schöne, schreckliche, erschütternde, lockende, quälende. Als Zeichner war Georg gewissermaßen das Auge der Expedition gewesen, was bedeutet, daß sich ihm alles besonders fest eingeprägt hat.
Das Erotik- und Porno-Kino, das durch die Reise in seinen Kopf gepflanzt worden war! Der nach den herrschenden christlichen Moralvorstellungen erzogene Siebzehnjährige, der überzeugt davon war, daß Sexualität nur in der Ehe erlaubt sei (ein Gesetz, das in ganzer Strenge freilich nur für Frauen galt) und Selbstbefriedigung für eine schwere Sünde hielt (gegen die er so heftig wie vergeblich ankämpfte), fand sich von heute auf morgen in eine reine Männergesellschaft versetzt. Matrosen, rauhe Burschen, die keine anderen Begierden hatten als »viehische« und über nichts lieber redeten. Drei Jahre lang hörte er Tag für Tag ihre Zoten, und der eigene Vater tat dabei gerne mit, was ihm äußerst unangenehm gewesen sein soll. Georg war dabei, wenn sie nach Wochen und Monaten auf See bewohntes Land erreichten und sich besoffen auf »liederliche« Eingeborenenfrauen stürzten, »mit welchen die ganze Nacht hindurch alle mögliche Ausschweifungen getrieben wurden«. Er sah, wie Eingeborenenmänner für irgendein Geschenk, einen Nagel oder ein Stück Stoff, ihre Frauen auch gegen deren Willen dazu zwangen, »sich den Begierden von Kerlen preis zu geben, die ohne Empfindung ihre Tränen sehen und ihr Wehklagen hören konnten«. Er war fasziniert und irritiert von den freizügigen Sitten der Insulaner. Unverheiratete junge Mädchen durften unsanktioniert Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern haben! Er beobachtete, wie die Frauen tanzten, »verschiedene Stellungen und allerhand mannigfaltige Bewegungen machten, ihren Mund wollüstig verzerrten«, wie sie zusammen mit ihren Männern »unanständige« Paarungstänze zeigten. Mit Kennerblick betrachtete und bewertete er ihren Wuchs, Körperbau – »den Oberteil des Körpers fanden wir wohlgebildet; die Beine hingegen außerordentlich dünn, übel gestaltet und krumm« –, Gesichtsbildung, Frisur und Kleidung – »ihr langes unverschnittenes Haar war mit einem schmalen Streif weißen Zeuges nachlässig durchflochten und fiel in natürliche Locken, schöner als die Fantasie eines Malers je geformt hat«. Besonders großen Eindruck machte ihm ein junges Mädchen, das fortwährend plauderte und damit auch nicht aufhörte, als es zu tanzen begann. Die Seeleute provozierte das »zu groben Bemerkungen über das weiblicheGeschlecht, wir aber fanden durch dieses Betragen die Bemerkung bestätigt, daß die Natur dem Manne nicht nur eine Gespielin gegeben, seine Sorgen und Mühseligkeiten zu erleichtern, sondern daß sie dieser auch, durchgehends, die Begierde eingepflanzt habe, vermittelst eines höhern Grads von Lebhaftigkeit und Gesprächigkeit zu gefallen«.
Johann Reinhold Forster hatte darauf gesetzt, daß der wissenschaftliche und literarische Ertrag der Weltreise ihm Ruhm und Reichtum bringen würde, aber was den Reichtum angeht, sah er sich enttäuscht. Schon unterwegs war er öfter mit Captain Cook aneinandergeraten, und nach der Rückkehr eskalierte der Konflikt, weil beide den offiziellen Reisebericht verfassen wollten. Dabei zog Johann Reinhold den kürzeren. Er entschloß sich zu einer eigenen, unabhängigen narrative , doch weil ihm die vertraglich untersagt war, mußte der Sohn einspringen. Für den war das ein Glück, denn durch den internationalen Erfolg der Voyage Round the World (1777) konnte er endlich aus
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