Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
hat die zweite große Wohnung in seinem Haus übernommen, den bisherigen Mieter ausgezahlt und Huber, der immer noch mit Dora verlobt ist, bei sich einziehen lassen. In seinen Briefen an Verwandte und Bekannte versucht er, die Fassade der glücklichen Familie aufrechtzuerhalten, auch wenn das immer schwerer fällt.
»Ich lebe hier eingeschränkt, und in häuslicher Ruhe vergnügt«, schreibt er am 17. Mai an Herder. »Meine Therese ist heiter und froh unter ihren Kindern. Zwei Mädchen haben wir; von einem dritten Kinde erwartet das liebe Weib ihre Entbindung in einigen Tagen«. In einem Brief an Heyne vom gleichen Tag klingt das so: »Therese hofft in wenigen Tagen auf ihre Befreiung von der Bürde, die ihr diesmal mehr Ungemach als gewöhnlich verursacht hat.«
Madame Forkel
Am Morgen des 4. Juni 1791 wird Thereses drittes Kind geboren, wieder eine Tochter, Luise. Pate ist ihr Hausarzt Georg Wedekind. Weder sie noch Forster scheinen sich darüber gefreut haben. Während der ganzen Zeit ihrer Schwangerschaft hat sich Therese elend gefühlt. Auch Forster ist oft krank. Wie eh und je schreibt er verzweifelt gegen die wachsenden Schulden an, »wie in der Galeere an die Feder geschmiedet«. Während Therese in den Wehen liegt, bringt er, »der unvermeidlichen Unruhe und Störung ungeachtet«, die Einleitung zu einer auf viele Bände angelegten Sammlung von Reisebeschreibungen zu Ende. Zum Lesen französischer Zeitungen komme er leider nur beim Mittagessen, was Therese ungern sehe, klagt er dem Schwiegervater. Seine literarischen Projekte stehen immer mehr im Zeichen der Revolution.
Mit Spannung hatte er auf Burkes Reflections on the Revolution in France gewartet und das Werk seinem Verleger Voß unbesehen zur Übersetzung vorgeschlagen: »Es erschien endlich am Montag, den 1. November und am 5ten November war bereits die ganze erste Auflage von 4000 Exemplaren vergriffen. Mehr braucht man wohl nicht zu sagen, um die Wichtigkeit dieses Werkes anschaulich zu machen.« Er erwartet sich viel davon. Burke war ein Whig , ein Abgeordneter der Liberalen, der als Chefankläger im Staatsprozeß gegen Warren Hastings [ 38 ] als Anwalt der ausgebeuteten indischen Bevölkerung und der in ihr geschändeten menschlichen Natur aufgetreten war.
Als Forster Burkes Schrift dann liest, ist er bitter enttäuscht.»Ein so schales, pedantisches und unbefriedigendes Gewäsch, daß ich es unmöglich wagen kann, solches zu übersetzen«, knurrt er. In England, wo der Verfasser allgemein bekannt sei, sei so etwas ja vielleicht trotzdem verkäuflich, aber für den deutschen Leser wünsche man sich doch etwas Gründlicheres.«
Aber natürlich hatte Forster die Sprengkraft von Burkes Pamphlet sofort erkannt. Sie lag nicht in der politischen Philosophie des Verfassers, der behauptete, daß die Menschen von Natur nicht gleich, sondern ungleich seien, die Existenz von natürlichen Rechten leugnete und die Legitimation von Herrschaft durch Tradition und Geschichte begründet sah, sondern in seinen mit Leidenschaft vorgetragenen düsteren Prophezeiungen, von denen viele sich erfüllen sollten. Die Revolution würde in Chaos und Gewalt versinken und am Ende in eine Militärdiktatur führen, warnte er in hellsichtigem Mißtrauen gegen radikale Reformer (»sie versuchen niemals zu korrigieren oder zu regulieren; sie verfahren nach dem kürzesten Weg und reißen das Haus ab«) und gegen politisches Handeln auf Grund von Prinzipien und Theorien: »Ich habe keine hohe Meinung von jener abstrakten, metaphysischen, ungewissen Menschlichkeit, die kaltblütig jene Menschen, mit denen wir täglich verkehren, auf der Stelle ins Unglück stürzt – im Namen eines zukünftigen und ungewissen Nutzens für Menschen, die nur in der Vorstellung existieren.«
Einen mehr als ebenbürtigen Gegner fand Burke in Thomas Paine. Der aus England stammende Sohn eines Korsettmachers, der bei seinem Vater in die Lehre gegangen war, bildete sich danach autodidaktisch weiter. Eine Zeitlang schlug er sich als Privatlehrer durch. 1774 ging er nach Amerika, wo er wenig später die Abspaltung der Kolonien von Großbritannien anstieß und entscheidend beförderte, zuerst mit einem Zeitungsartikel, dann mit der Schrift Common Sense , die für unabhängige, demokratisch regierte »Vereinigte Staaten« plädierte. Sie wurde ein ungeheurer Erfolg – in den ersten drei Monaten wurden 120 000 Exemplare verkauft – und trug entscheidend zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung
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