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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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und der Hoffnung – sie wusste es, erwartete es, machte sich darauf gefasst – würde sich ein neuer Geist in ihm erheben und damit eine Verlagerung der Verantwortung kommen.
    »Vielleicht hast du eine postnatale Depression?«, probierte er es. Zu diesem Zeitpunkt klopfte sie einige Male auf Zebulis zarte Schultern, damit er sein Bäuerchen machte, und legte ihn in den Schaukelstuhl, schlug Eier in die Pfanne, schnitt Tomaten und Gurken, holte Hummus, Frischkäse und Quark aus dem Kühlschrank, Brot aus der Büchse, deckte den Tisch. »Vielleicht solltest du mit jemandem reden? Vielleicht sollten wir über Hilfe nachdenken? Vielleicht kann jemand wie Gittit kommen, um jeden Tag ein paar Stunden zu helfen?«
    Sie antwortete nur mit einem matten »Vielleicht«, denn sie wusste ja, dass Gittit mit ihren fünf jüngeren Geschwistern beschäftigt war. Dass sie zudem kein Geld hatten, um Gittit zu bezahlen, und dass die ganze Idee idiotisch war – zum Teufel, sie brauchte nur ab und zu seine Hilfe, er konnte sich noch nicht mal wie die meisten Männer damit herausreden, dass er nicht kochen könne – er machte eine Ausbildung zum Koch! Und was die Depression nach der Geburt anging, wer weiß, vielleicht, aber vielleicht passten sie auch einfach nicht zusammen. Vielleicht hatten sie zu jung geheiratet, noch unter zwanzig, ohne sich wirklich zu kennen und ohne etwas vom Leben zu wissen.
    Das Merkwürdige dabei war, dass es bei ihnen keine arrangierte Heirat gewesen war. Sie hatten sich von Kindheit an gekannt, waren in Beit-El aufgewachsen, waren zusammen in der religiösen Jugendbewegung Bnei Akiva gewesen. Sie erinnerte sich noch gut an die Trauerwoche ihres Vaters, er war jeden Tag mit seinem Vater gekommen. Sie hatten es quasi wie die Säkularen gemacht. Doch nach sechseinhalb Jahren und drei Kindern, von denen das letzte bereits in dieser Spannung gezeugt worden war, vielleicht als versuchtes Heilmittel, zur Ablenkung, konnte der Schluss gezogen werden: Das war es nicht. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Wege der Säkularen irrig waren. Scha’ulit hatte viele Gedanken und Qualen durchlitten, zwischen sich und dem Herrn, doch sie begann zu begreifen, dass es nicht nur die Hilfe oder Unterstützung Nirs war, die ihr fehlte. Sie kam schon irgendwie zurecht. Es ging um mehr. Sie kannte den Mann nicht, sie liebte ihn nicht richtig. Nicht dass sie an das säkulare Ideal der Verliebtheit geglaubt hätte, aber sie liebte ihn wirklich nicht. Sie mochte sich kein langes Leben an seiner Seite vorstellen. Und was die Lieder anging, na ja – es gab ein oder zwei, die ganz nett waren, aber sie hörte keinen großen Hit auf der breiten Schaukel im Hof reifen. Sie hielt nicht den Atem an und erwartete, dass von dort die Erlösung käme.
    Einige Minuten lang kauten sie stumm das mit Quark bestrichene Brot, die Augen auf unbestimmte Stellen am Tisch geheftet, und ab und zu schniefte Nir und schüttete sich Bier in die Kehle. Als er fertig war, ließ er die Gabel klirrend auf den Glasteller fallen. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Er habe in vierzig Minuten eine Wachschicht, teilte er ihr mit und ging. Diesmal nahm er weder seine Gitarre noch seine religiösen Bücher mit. Auch keine weitere Bierflasche oder etwas zu rauchen. Er schritt über die Ringstraße der Siedlung. Der Abendhimmel war so weit, und sogar mitten im August gab es eine angenehme Brise, so dass er stehen blieb und die Augen schloss, sie tief in seine Brust sog und die Hände ausbreitete, damit die Luft überall zwischen seine Finger gelangte. Sie durften nicht aufgeben, dachte er. Es gibt Höhen und Tiefen, es gibt schwere Zeiten. Aber sie mussten durchhalten.
    Kurz vor dem Haus der Familie Asis hörte er, wie sich eine Tür schloss, und dann Schritte auf dem Pfad. Er drückte sich an den Steinzaun, verschmolz mit der Dunkelheit. Es war Gittit Asis, die nach rechts und links schaute und sich leise, leicht geduckt in Bewegung setzte. Etwas an der Art, wie sie ging, an der Dringlichkeit und den Blicken, sah nicht wie ein Spaziergang am Ende des Tages aus, um frische Luft zu schnappen. Nir schlich heimlich hinterher, an die Zäune gedrückt, versuchte in allem aufzugehen, was da war – Müllcontainer, umgekippter Schrott, parkende Autos, Baumaterial oder leere Kühlschränke. Mit dem Inhalt von drei Bierflaschen im Bauch gestand Nir sich ein – nach all der Anstrengung und Qual, nach der Vergebung durch seine Frau und seinen Gott (er wusste, ein Geduldiger ist

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