Auf fremdem Land - Roman
nichts mehr außer Körperbewegungen an der Wand, stoßweiser Atem, noch ein Aufeinandertreffen und Schmatzen von Lippen und nassem Vakuum. Und dann: »Nein, da nicht …«
Wo?
»Joni!«
Weitere Bewegungen an der Wand, Gerangel, Kleidungsstücke bewegten sich, wurden sie weggeschoben? Geöffnet? Das Klirren einer Gürtelschnalle? Das Öffnen eines Knopfes? Das Schleifen eines Gürtels? Die Geräusche mischten sich in seinem Kopf mit dem Geruch und der Feuchtigkeit, und er war sich nicht mehr sicher, was er sich einbildete und was wirklich geschah. »Joni, nein!« Noch ein Flüstern, und nun fragte sich Nir, ob er hinausgehen und ihr helfen sollte, ob der unverschämte Soldat versuchte, etwas zu erzwingen? Und was genau versuchte er zu erzwingen? Und dann Stille.
Nir fiel das Atmen schwer. Brechreiz stieg in seiner Brust auf. Er versuchte, sich im Dunkeln an etwas zu lehnen, sich vielleicht zu setzen. Er brauchte Wasser. Rülpser mit Biergeschmack drängten in seinem Hals nach oben. Draußen herrschte immer noch Stille. Er konnte nicht sehen, wie spät es war, doch er nahm an, dass seine Wache jeden Moment beginnen musste. Heute Abend war er der Erste bei der Nachtwache, und der Erste musste bei Wachantritt den Posten informieren, und das war – plötzlich ging es ihm auf – Joni. Hatte der Äthiopier ihr etwas getan? Sie erwürgt? Dann war wieder ein monotones Gemurmel von Joni zu hören, und Gittit brach in Lachen aus, anfangs ziemlich laut, dann gedämpft von einer Hand über dem Mund, und danach noch weitere Bewegung und fliegender Atem – was machten sie dort?
»Nein«, hörte er Gittit flüstern, »nicht heute. Ich muss gehen. Nächstes Mal.« Noch ein entferntes Feuerwerk ließ sie zusammenschrecken, darauf unterdrücktes Gekicher und wieder monotones Summen. »Beim nächsten Mal, versprochen.« Gemurmel, das wie eine Frage klang. »Ja, ich versprech’s.« Und dann offenbar ein kurzer Kuss, die dünne Holzwand ächzte, Kleider raschelten, und Schritte entfernten sich mit einem kleinen Kichern von Gittit.
Nirs Gesicht war brennendheiß vor Schweiß, Hitze, Befangenheit und Erregung, und als einige Minuten verstrichen waren, drehte er den Türgriff und schnappte nach Luft, die ihm frisch und belebend vorkam wie winterliche Alpenluft – nicht dass Nir jemals im Winter in den Alpen gewesen wäre. Er vergewisserte sich, dass sie nicht mehr in der Umgebung waren, trat aus der Hütte und umrundete sie bis zu der Stelle, an der sie noch vor einem Augenblick gewesen waren, schnüffelte, suchte nach Beweisen, vielleicht Spuren, die das Geräuscherlebnis verdeutlichen würden, doch außer einem schwachen Geruch, den er nicht zu definieren vermochte – sein Gehirn war von den Ausdünstungen der Chemikalien durchtränkt –, gab es keinerlei Hinweise auf das, was sich hier gerade abgespielt hatte.
Er ging zur Mitte der Anlage, breitete die Arme aus und ließ die nassen Kleider, die Stirn, den Nacken und alle restlichen schweißtriefenden Bereiche von der Brise kühlen. Er atmete tief, stöhnend. Dann ging er über die Straße zu Jonis Caravan, um sich zum Beginn der Nachtwache zu melden.
Joni sagte: »Du bist zehn Minuten zu spät dran, Mann. Das sollte nicht noch mal passieren, gut? Noch eine Minute, und ich hätte dich angerufen.« Nir nickte, betastete das Telefon in seiner vorderen Hosentasche, dann den Kolben der Pistole, die hinten in seiner Hose steckte, und ging, ohne ein Wort zu sagen.
Während der Wache kehrte Nir zweimal an den Schauplatz des Ereignisses zurück, versuchte, es noch einmal heraufzubeschwören, Beweise zu finden, doch je nüchterner er mit Hilfe von literweise Wasser und dem Verstreichen der Zeit wurde, desto fraglicher erschien ihm das Mitangehörte. Als er zum zweiten Mal hinter der Hütte herumschnüffelte, hörte er Schritte und eine Stimme, und die Liebesszene, die er in seinem Kopf immer wieder abgespult hatte, machte einer neuen Vorstellung Platz. Er drückte sich starr an die Schuppenwand und versuchte wieder, in der Umgebung aufzugehen. Diesmal war er wenigstens draußen, atmete Luft und den Geruch der Holzbretter ein, der um einiges angenehmer als der Terpentingestank war. Auch das Lauschen war einfacher, die Laute weniger gedämpft. Zweifellos eine Verbesserung der Bedingungen.
Er hörte jemanden mit bewusst leiser Stimme am Telefon sprechen. Er hörte, wie das Gewicht eines Körpers Seile spannte, eine leichte Bewegung durchschnitt die Luft – die Schaukel war in
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