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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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zum Abendgebet gehen. Er setzte den Wasserkocher in Betrieb, der nach ein paar Sekunden mit einem Rauschen reagierte, das sich zum finalen Brodeln steigerte, bis der Knopf heraussprang. Er hängte je einen Wissotzky-Teebeutel in ein dünnhenkliges Glas, gab Zucker hinein und rührte mit klirrendem Löffel um.
    »Mach mir auch so was, was immer es ist«, erklang eine Reibeisenstimme aus dem Wohnzimmer.
    »Hab ich schon.« Gabi trat ins Wohnzimmer und stellte ein Glas, auf dessen Grund noch Zuckerkörnchen wirbelten, auf das Regalbrett neben Ronis Kopf. »Tee«, sagte er und ließ sich in dem Sessel auf der anderen Seite des Raums nieder. Er sprach einen Segen: »Dass alles nach seinem Wort geschehe«, blies auf seinen Tee und nahm einen behutsamen Schluck. »Willkommen, Bruderherz. Lange her.«
    Roni setzte sich auf, dehnte sich, versuchte, den Nebel des Schlafs und des Jetlags abzuschütteln. »Ahhh«, gähnte er laut. Er griff nach dem Glas und schlürfte geräuschvoll. »Süß«, bemerkte er. Er betrachtete seinen Bruder, der weiterhin lächelte. »Ich werde ein Weilchen hierbleiben müssen.«
    »Das hab ich verstanden. Wegen dem Koffer.«
    »Ja.« Beide tranken schweigend. Was soll diese große, weiße Kipa mit dem Bommelding da oben?, dachte Roni. Der Bart war immer noch spärlich, aber etwas länger geworden. Die Schläfenlocken – gab es die nicht bloß in Jerusalem in Mea Schearim, im Orthodoxenviertel? Er musste jedoch zugeben, dass das Erscheinungsbild zu seinem Bruder passte, die Religiosität kleidete seinen mageren Körper ganz natürlich, harmonierte mit der verträumten Wärme seiner Augen und seiner hellen Haut. Von ihnen beiden hatte immer Roni wie der echte Kibbuznik ausgesehen, mit seiner dunklen Kompaktheit, seinem sicheren, manchmal überheblichen Blick, aber auch wie der Unbeschwertere, der immer an der Schwelle eines Lächelns zu stehen schien.
    »Gibt’s vielleicht irgendwelche Kekse oder so was?«
    Gabi blickte in Richtung Küche, doch es war gar nicht nötig. Er hatte keine Kekse.
    Das Schweigen verdichtete sich, wurde nur hin und wieder von Trinkgeräuschen unterbrochen. Schließlich bedachte Gabi seinen Bruder mit einem langen Blick. »Was ist los?«, fragte er. »Das letzte Mal, dass wir uns gesprochen haben, war an deinem vierzigsten Geburtstag. Du hast gesagt, dass du zu tun hast und zurückrufen würdest, und seitdem habe ich nichts mehr von dir gehört. Ein halbes Jahr. Und davor – an deinem vorigen Geburtstag. Solltest du nicht in Amerika sein?«
    Roni erhob sich vom Sofa. Er spähte aus dem Fenster nach draußen. Der Wind pfiff unter dem Wohnwagen. »Was für eine Landschaft, eh?« Er drehte sich um und sah seinen Bruder an. »Was ist mit dir? Der, der mich mitgenommen hat, hat gemeint, du bist ein Goldjunge. Ein Königssohn.«
    Gabi lachte. »Bestens, gelobt sei der Herr. Wunderbar.«
    »Wunderbar? Was ist so wunderbar?«
    »Wunderbar. Alles. Ganz wunderbar. Ich freue mich, dass du da bist.«
    »Dann kann ich also ein bisschen hierbleiben? Dieses Wunderbar ist nicht eine Frau oder so was?«
    »Du meinst, dass wunderbar etwas mit einer Frau zu tun haben muss?«
    »Ich will bloß wissen, ob ich ein bisschen bleiben kann.«
    »Du kannst bleiben, so lange du willst.«
    »Warum verziehst du das Gesicht? Kannst du deinen Bruder nicht unterbringen?«
    »Ich verziehe überhaupt nichts.«
    Roni trat von dem kleinen Raum in den zentralen Bereich des Wohnwagens. »Wo ist das Klo?«
    Gabi blieb im Sessel, einer schlichten Schreinerarbeit aus den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts mit abgewetzter brauner Polsterung – seine Möblierung hatte er mit den Jahren in den Straßen Jerusalems gefunden –, und trank seinen Tee. Er hörte den prallen Urinstrahl seines Bruders direkt in der Toilettenschüssel auftreffen – Roni hatte nie die Gewohnheit gehabt, das Geräusch zu dämpfen, indem er ihn an die Seitenwände der Porzellanschüssel lenkte. Er schloss die Augen.
    »Du brauchst kein Gesicht zu ziehen«, erklärte Roni, als er zurückkam. Er hob sein Teeglas hoch. »Ich hab dir immer geholfen, wenn du mich gebraucht hast.«
    »Ich hab kein Gesicht gemacht«, erwiderte Gabi friedlich, »aber wie kannst du wissen, ob ich Hilfe brauche, wenn wir jahrelang kaum miteinander in Kontakt waren?« Im Wohnwagen herrschte plötzliche Finsternis. Gabi stand auf und sah aus dem Fenster. »Der Generator ist ausgefallen«, stellte er fest, »wenigstens nicht wegen meinem Wasserkocher, so haben

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