Auf fremdem Land - Roman
herrschte Schweigen. Rachel verließ das Wohnzimmer, um in die Küche zu gehen, Otniel trank einen Schluck Kaffee.
»Warum hast du das getan, Jenia?« Sein Ton war, zur Überraschung der Eheleute, mild, nicht anklagend.
Ein Achselzucken. Ein Flattern der Lippen, niedergeschlagene Augen. Ihre Hand fuhr zaudernd durch die blonde Haarpracht. Ihre breiten Schultern fielen wieder herab. »Ich weiß nicht. Ich … am Anhalterplatz redet eine mit mir. Redet russisch. Ich erinnere nicht, von was wir reden, vielleicht Rezepte, Kekse.« Sie hob zögernd den Blick – vielleicht wollte er diese Details nicht hören, vielleicht war er ungeduldig? Doch Otniels Augen vermittelten Gelassenheit, und seine Hände signalisierten, weiter. Wenn er es eilig hatte oder wütend war, ließ er sich das nicht anmerken.
»Sie hat angerufen. Weiß nicht, wie es passiert ist, wir sind lange in Kontakt. Sie war meine Freundin …«
»Ich habe sie auch gekannt«, mischte sich Elazar ein. »Dalia, ihre Freundin vom Anhalterstand. Sicher.«
»Hast du auch immer mit ihr geredet? Sie getroffen?«
Elazar schüttelte den Kopf. »Ich kann kein Russisch. Und sie ist nie zu uns gekommen.«
»Und nach einiger Zeit fing sie an, über Politik zu reden«, sagte Otniel.
» Da, da … du kennst, wie das geht?« Jenia richtete ihren Blick wieder auf den Führer des Stützpunkts.
»Kenn ich, kenn ich. Ich kenne sie gut«, bestätigte Otniel. »Sie hat dir bestimmt erzählt, dass sie selber eine Siedlerin ist. Und hat die Siedlungsbewegung gerühmt. Und hat über die Regierung, die Armee und die Araber geklagt. Und dann hat sie angefangen, von den Extremisten zu reden. Von den Tag-Mechir, diesen verrückten jungen Krawallmachern, die uns alle in Verruf bringen. Die man stoppen muss, weil sie der Besiedlung Schaden zufügen. Wenn wir sie nicht aufhalten, wenn wir sie toben lassen und ihre extremistischen Aktionen zulassen, dann werden sich sowohl die Palästinenser als auch die Armee an uns rächen, und sie werden uns evakuieren … Sie hat dir Angst eingejagt.«
Jenia und Elazar blickten ihn fassungslos an. Das hatten sie nicht erwartet. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass das, was Jenia widerfahren war, auf Verständnis stoßen würde. Was Otniel hier demonstrierte, war noch viel mehr als Verständnis. Er hatte genau beschrieben, was passiert war. Aber dann verhärtete sich sein mildes Gesicht, und Jenias und Elazars Herzen setzten einen Schlag aus.
»Aber das ist immer noch kein Grund, deine Freunde zu bespitzeln.«
»Richtig«, stimmte Jenia hastig zu. »Ich …«
»Wir können einen solchen Verrat nicht hinnehmen.«
»Sie haben mir gesagt, du verfolgst bloß Jehu. Ist wie wildes Kraut, Jugend von den Hügeln. Ich verrate nicht Stützpunkt. Ich suche nicht andere Leute.«
»Wir haben gehört, dass du auch etwas über Roni Kupfer gesagt hast.«
»Sie haben gewollt, Roni Kupfer, aber ich kenne nicht. Und er ist nicht von Bewohner. Ich gebe ihnen gar nichts über ihn! Und über Bewohner! Bloß Jehu!«
»Jehu ist einer der unseren«, sagte Otniel ungerührt. Die Liebenswürdigkeit war aus seiner Stimme verschwunden. »Auch über ihn hast du niemandem irgendetwas zu berichten.«
»Klar, ich berichte nicht mehr etwas.«
»Und keine schlauen Spielchen mehr. Egal, was passiert, wie es passiert und wer – du kommst sofort zu mir.«
Sie nickte: »Klar, klar.«
»Ich werde mit allen reden«, schloss Otniel. »Ich bin lange genug in diesem Geschäft. Diese Bastarde wissen, wie man jemanden erwischt, hineinzieht und auf seine Schwachstellen festnagelt, sie wissen, wie man die Leute verwirrt und Dinge aus ihnen rausholt, ohne dass sie begreifen, was sie sagen. Diesmal vergeben wir dir, Jenia. Dieses Mal.« Er richtete einen strengen Blick auf Elazar. »Bring sie nach Hause und erklär’s ihr. Beim nächsten Mal wird keiner Nachsicht walten lassen. Das liegt jetzt in deiner Verantwortung, Mann. Nimm sie in deine Hände.«
Jenia schoss einen ängstlichen Blick auf ihren Mann ab. » Tschto eto , ›vergeben‹?«, wollte sie wissen. Elazar zitterte. Sein Adamsapfel rotierte. Er senkte den Blick.
»Ja, sicher, Otni, in meiner, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Er ergriff den Arm seiner Frau und stieß sie leicht an, damit sie aufstand. »Danke, Otni.« Er schob sie in Richtung Ausgang. Es war klar, dass Elazar Otniels Wohnwagen so schnell wie möglich verlassen wollte, bevor dieser es sich anders überlegte.
Die Nachricht erschütterte die
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