Auf fremdem Land - Roman
der Wintersonne zu erfreuen und am Abend wie ein stinknormaler Gast in die Bar Barabush zu gehen.
Eines Abends traf er dort seinen Freund Ariel. Er sah immer noch genauso aus, vielleicht eine Spur kahlköpfiger. Immer noch Buchprüfer, jedoch inzwischen verheiratet.
»Was ist mit den Suppenautomaten aus Japan?«, fragte Roni.
»Ach«, winkte Ariel ab. »Ich arbeite jetzt an was Neuem. Eine Mausefalle, die nicht vergiftet und nicht sonstwie tötet. Eine humane, saubere, effektive Lösung. Schau her«, er zog Papiere aus der Aktentasche, »das ist so eine Rolle, die sich hier öffnet …«
Er erklärte weiter, und Roni blickte ihn an, ohne sich die Belustigung, die er empfand, anmerken zu lassen. Menschen ändern sich nicht, dachte er, sie machen die gleichen Dinge immer wieder. Genau das hatte er einige Stunden zuvor über seinen Bruder Gabi gedacht. Schließlich war alles, was Gabi in den letzten Jahren widerfahren war, ziemlich überraschend, wenn man darüber nachdachte, fand Roni. Diese ganze Bürgerlichkeit – Universität, Heirat, Kind, eine Wohnung im alten Norden Tel Avivs –, wer hätte das von seinem kleinen Bruder gedacht. Und dann, wenn man sich gerade an den neuen Gabi gewöhnt hatte, weitere Umwälzungen und dramatische Richtungsänderungen. Dennoch, trotz dieser Veränderungen, drängte sich Roni bei einem weiteren Bier allein an der Bar, nachdem Ariel mit seiner revolutionären Mausefalle abgezogen war, die Frage auf: Hatte sich sein Bruder wirklich verändert? War das ein anderer Gabi als sein kleiner, etwas haltloser, oft mitgezogener, stets suchender Bruder? Die Haltlosigkeiten, diejenigen, die ihn mitzogen, und die Ziele der Suche änderten sich, die Kulisse ringsum änderte sich, wie bei dieser komischen Englischunterrichtsendung im Studienkanal, als sie Kinder waren, mit Sheriff Goodman, der ein Glas Milch trank, während die Bühnenarbeiter hinten die Kulissen austauschten – aber war er im Innern ein anderer Mensch?
Es war spät in der Bar Barabush. Roni schaute sich um und hatte das Gefühl, dass alle hier – in dieser Bar, in dieser Stadt, in diesem Staat – erbärmlich waren, im Teich der Provinzialität schwammen, nicht begriffen, was für eine Welt es da draußen gab. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Mädchen zu, das allein an der Bar zurückgeblieben war. »Was meinst du, Ravit«, sagte er, denn ihren Namen hatte er vorher, als sie sich von einer Freundin verabschiedete, mitbekommen, »können sich Menschen ändern, oder bleiben sie immer die Gleichen?« Und als sie ihn nur ansah, ohne zu antworten, fügte er hinzu: »Deiner Meinung nach?«
Der Autobus
Letzten Endes bleiben ein paar hartnäckige Erinnerungen, denen es gelingt, aus dem unendlichen Kuddelmuddel des Lebens herauszuragen und zu überdauern, aus Hunderten alltäglicher Ereignisse, von denen die meisten untergehen und für immer in den Tiefen des Gedächtnisses versunken bleiben.
Eine Erinnerung: Gabi, Anna und Miki, sicher erst wenige Monate alt, denn er liegt im Kinderwagen, und es ist Winter, gehen spazieren. Gabi und Anna streiten. Sie hat das Kind in Anziehschichten und Decken eingepackt, und Gabi denkt, dass ihm eventuell zu warm ist – das war, bevor Miki auf seiner Meinung bestand und sich eigensinnig weigerte, warme Kleider, egal zu welcher Jahreszeit, anzuziehen –, denn so kalt ist es nun auch wieder nicht, der Regen hat aufgehört, ein leichter Wind, keine große Affäre. Doch nicht genug, dass Anna auf den ganzen Schichten bestanden hat, jetzt kniet sie sich auch noch hin und zieht aus dem Körbchen unter dem Kinderwagen die Regenschutzplane heraus und beginnt sie festzumachen.
Erinnerungen gehen im Allgemeinen mit Randbemerkungen zu Kontext, Zeit, Stimmung einher, und die Randbemerkung, die diese Erinnerung begleitet, besagt, dass es eine angespannte Phase zwischen ihnen beiden war. Sie stritten viel, fast täglich, und oft kam es zu Geschrei, hauptsächlich von Gabis Seite.
»Warum legst du das drüber?«
»Weil es kalt ist.«
»Aber er hat doch schon eine Million Schichten an. Das ist gegen Regen. Es regnet jetzt gar nicht. Schau dir den Himmel an.«
Sie sah nicht zum Himmel. Die Sonne, die durch die Wolken brach, konnte man auch spüren, ohne den Kopf zu heben.
»Das ist gegen Wind. Es bläst ein starker Wind.«
»Ein starker Wind?«, wunderte er sich. »Wo ist ein starker Wind?«
Sie gab keine Antwort, zurrte nur die Plane über dem Wagen fest und verpackte das gut gebündelte Baby in
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