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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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ausgehen. Man denkt an das Wort »fast«. Man stellt sich sogar manchmal vor, was passiert wäre, wenn einen dieses Auto gerammt hätte, wenn man es nicht im letzten Moment bemerkt hätte, oder umgekehrt. Rollstuhl? Totale Veränderung des Lebens? Doch wenn es bei »fast« bleibt, verwehen diese Gedanken schnell wieder. Denn es hat sich nichts geändert, es ist ja nichts passiert. Was hat es also für einen Sinn, auf Grün zu warten?
    Und dann hat man ein Kind und geht mit ihm in den Straßen der Stadt mit dem Kinderwagen spazieren und ist verantwortlich geworden. Man bleibt bei Rot stehen. Mit dem Leben eines Kindes spielt man nicht und riskiert nichts, auch wenn man nach rechts und links geschaut hat und keine reale Gefahr droht, weil die Straße leer ist. Denn da ist ein Kind, und das ist ein Kinderwagen, der sich langsam bewegt, und wenn plötzlich von irgendwoher ein Wagen auftauchen würde, der mit übertriebener Geschwindigkeit fährt, dann würde man es vielleicht nicht schaffen, wie gewohnt davonzukommen. Man entdeckt die Leute neben sich, die bei Rot stehen bleiben. Man hat sie immer gesehen, auch als man jünger war und hinübergegangen ist, hat über sie gedacht, das sind die, die den Regeln gehorchen, nicht mogeln, nicht widersprechen. Leute, die bei Rot stehen bleiben würden, auch wenn sie mitten in der Wüste darauf stoßen würden, ohne eine Menschenseele meilenweit. Jetzt, wo man neben ihnen stehen bleibt und wartet, die Griffe des Kinderwagens fest gepackt, schaut man nicht mehr so auf sie herab.
    Doch letztendlich ist man keiner von ihnen. Mit der Zeit sinkt das Schutzgebaren, und die Sicherheit steigt. Man geht Tag für Tag mit dem Kinderwagen spazieren, lernt ihn kennen, und auch wenn man verantwortungsbewusster geworden ist, nachdem man ein kleines Leben in Händen hat und nicht nur das eigene – zum Teufel, die Straße ist leer, was hat es für einen Sinn herumzustehen? Das ist schließlich eine prinzipielle Frage. Auch als man allein war, wollte man kein Leben gefährden, hat die Straße überquert, wenn man sich sicher gefühlt hat, also wo ist eigentlich der Unterschied? Man fängt an, auch mit Kinderwagen und dem Baby darin hinüberzugehen. Und auch wenn man ein-, zweimal fast in eine unangenehme Situation gerät, es bereut und die Gedanken in Richtung »was wäre passiert, wenn« wandern, verflüchtigen sie sich wie gewöhnlich. Denn es war nur fast.
    Das letzte Alter, das Gabi Miki vorzählte, war drei Jahre, zwei Monate und zwölf Tage. Er holte ihn vom Kindergarten ab und fragte: »Wie war es heute im Kindergarten?« Und Miki antwortete: »Lustig.« Und dann fragte er: »Wo ist Mama?« Und Gabi antwortete: »Mama ist in Afula. Sie kommt am Abend zurück.« Miki summte ein Lied. Gabi horchte, neigte den Kopf, kniff die Augen zusammen und näherte sein Ohr, und schließlich erkannte er es, ein Geburtstagslied.
    »War heute ein Geburtstagsfest im Kindergarten?«
    »Ja.«
    »Von wem?«
    »Von Ido.«
    »Und hast du Kuchen gegessen?«
    »Ja!« Er begann wieder mit dem Lied, und Gabi stimmte mit ein. So gingen sie gemütlich spazieren, das Wetter war schön, es gab keinen Grund, nach Hause zu gehen.
    Miki sagte: »Wenn ich Geburtstag hab, hab ich eine Krone.«
    Gabi fragte: »Was?« Der Junge wiederholte den Satz, und beim dritten Mal verstand Gabi und fragte: »Eine Krone? Was für eine Krone?«
    Und Miki erklärte: »Aus roten Blumen.«
    Gabi fiel ein, dass zu Hause irgendwo eine solche Krone herumlag, und er sagte: »Klar, aber sicher, wenn Miki Geburtstag hat, wird er die Krone mit den roten Blumen aufsetzen.« Und dann fügte er hinzu: »Aber das ist erst in neun Monaten, zwei Wochen und drei Tagen, ist also noch Zeit.«
    Miki zeigte auf einen kleinen Vogel, der herumhüpfte, und sagte gedehnt: »Vooo-gel!« Gabi fragte, ob er einen Pullover anziehen wolle, doch er wusste, die Antwort würde »nein« lauten. Ein herbstlich kühler Wind blies am klaren, von vereinzelten Wolken gepunkteten Himmel, und der Tag begann sich zu neigen.
    Gabi schob den Kinderwagen in Richtung Park und fragte Miki, ob er die Enten im Teich sehen wolle.
    »Enten im Teich!«, wiederholte Miki aufgeregt und warf seinen kleinen Körper im Kinderwagen hoch.
    Gabi lächelte in sich hinein. Sie erreichten den Fußgängerübergang. Die Ampel stand auf Rot.
    »Enten im Teich!«, krähte Miki wieder und hopste im Kinderwagen auf und ab, festgehalten vom Sicherungsgurt.
    Gabi schaute nach rechts und nach links. Die

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