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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Sohn nicht mehr sein Sohn: Sie brachte ihn mit einer gerichtlichen Verfügung in einen Kibbuz bei Afula, Gabi wusste nicht, durfte es auch nicht wissen, welcher, jeder Kontakt oder auch nur zu telefonieren war ihm untersagt. Vor Gericht setzte er sich mit Leib und Seele gegen die Definition »mörderische Schläge« zur Wehr, drückte tiefe, tränenreiche Reue aus, war überzeugt, dass der Busunfall keine kriminelle Nachlässigkeit gewesen war, und am Ende wurde er zwar für schuldig erklärt, jedoch nur zu Sozialdienst und einer Bewährungsstrafe verurteilt. Während der Untersuchungshaft drangen bärtige Hutträger in ihn, Gebetsriemen anzulegen, drückten ihm Broschüren in die Hand, die Titel trugen wie »Warum leiden?«, und er hatte nichts zu tun, außer zu warten, zu grübeln, wütend zu sein und diese Heftchen zu lesen. Als er aus der Haft entlassen wurde, überredeten sie ihn wieder, die »Tefilin zu legen«, und die Berührung dieser schwarzen Lederriemen auf seiner Haut tröstete ihn und war ihm weiterhin jedes Mal ein Trost, wenn die Wut in ihm hochkochte. Die bärtigen Hutträger waren die einzigen Menschen, die keinen Aussätzigen in ihm sahen, die Einzigen, die ihm Sühne und Trost anboten, die sich für sein Wohlergehen interessierten, die eine Antwort auf seine Fragen fanden. Die Einzigen. Vater Jossi kam ihn nicht besuchen, Roni war in New York und rief nicht an, und die wenigen Freunde, die Gabi in der Arbeit und vom Studium her hatte, waren spurlos verschwunden. Also ging er zu einer Thoraunterrichtsstunde und zu einer weiteren, legte die Gebetsriemen an, hörte zu und fragte: Warum leiden?, schlug die Augen auf und sah das Licht: Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.
    Das Licht
    Auch sein Bruder Roni sah das Licht, in New York. 2006 war ein gutes Jahr von seiner Warte aus. Er genoss die Arbeit. Elliott Lieberman hatte etwas übertrieben mit seiner Angstmacherei, allerdings war der Tagesablauf wirklich gedrängt: lange Arbeitsstunden vor den sieben Displays, nahezu ohne Pausen während der New Yorker Geschäftsstunden, dazu noch mit einem Auge auf die Geschäftszeiten der restlichen Welt schielen, ganz zu schweigen von Dutzenden Mails pro Tag von Brokern und Teammitgliedern, die er erst beantwortete, wenn er nach Hause kam, manchmal nach Mitternacht, um ein Uhr früh, nachdem er am Abend mit Kollegen ausgegangen war. Dieses Ausgehen war kein Vergnügen, es war Arbeit; die permanente Anstrengung, einen gesellschaftlichen Status zu etablieren, Klatsch und Tipps aufzuschnappen, den Finger auf den Puls zu legen. Roni schlief nicht viel.
    Sein geheimer Trumpf waren seine israelischen Beziehungen. Sie waren über den ganzen Kontinent vernetzt, nicht nur in der Finanzwelt, sondern auch in der Industrie, den Energiegesellschaften und natürlich im Hightechgewerbe. Er baute seine Kontakte schnell und ausdauernd auf, sorgte dafür, sie zu wahren und an Informationen zu kommen, bevor sie an die Öffentlichkeit drangen, und setzte diese Informationen dann beim Handel, zu Spekulationen und anderen Aktivitäten am Aktienmarkt ein. Im nächsten Schritt begann er, für diese Klientel auch zu handeln, und nachdem er sich einen Ruf als kühner, schneller und vor allem profitabler Trader erworben hatte, vertrauten ihm nicht wenige Israelis, sowohl vom Hummusforum wie auch andere, ihre Anlagen an. Für die Industriellen und Hightechleute, die nichts von Aktien verstanden, aber Geld zu investieren hatten, war Roni der richtige Mann, der die richtige Sprache sprach und die richtigen Gewinne einfuhr.
    In einem der ersten Workshops, die er im Hummusforum machte, wurde gesagt, dass sich die Improvisationsfähigkeit – deren sich die Israelis immer rühmten – in den Vereinigten Staaten keiner hohen Wertschätzung erfreute. Bei ihnen ging man keine krummen Wege, sagten sie, bei ihnen arbeitete man nach Vorschrift. Sie gaben allen Menschen die gleiche Chance und erwarteten von allen, nach fairen Regeln zu spielen. Das sei der Grund, so wurde gesagt, dass die amerikanische Wirtschaft so erfolgreich sei und die besten Köpfe aus der ganzen Welt, einschließlich der unseren, anziehe. Die israelischen Trickgeschäfte und Augenzwinkereien nützten vielleicht manchmal kurzfristig, aber es gebe keinen Ersatz für das fair game und eine ordnungsgemäße Arbeit. Doch je mehr Erfahrung er sammelte, desto mehr belehrte sie Roni eines Besseren. Er lernte, dass vielleicht viele

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