Auf fremdem Land - Roman
nach, was er mit sich anfangen sollte. Im Januar gelangte er nach San Francisco. Er erinnerte sich nicht an die Telefonnummer seines bosnischen Freunds Sascha oder seine Adresse, doch er ging in das Büro der Consultinggesellschaft, bei der er arbeitete, und sie halfen ihm, Sascha ausfindig zu machen. Das Erste, was Sascha zu ihm sagte, als er ihn sah, war: »Du bist dünner geworden!«
Roni wohnte fünf Tage lang bei Sascha, bis eines Abends das Telefon des Bosniers klingelte, während sie eine DVD anschauten und chinesisches Fastfood aßen. Sascha antwortete, und dann stoppte er den Film, blickte Roni an und signalisierte ihm mit einem Finger auf den Lippen: »Pssst …« Als er das Gespräch beendet hatte, sagte er: »Das war irgendein Privatdetektiv. Die Leute suchen dich. Israelis, für die du Vermögensanlagen verwaltet hast. Haben gefragt, ob du in der letzten Zeit mit mir Kontakt aufgenommen hast. Du hast mir nicht gesagt, dass du Millionen von Privatanlagen verloren hast. Sie wollen dich vor Gericht verklagen.«
»Ich habe sie verloren? Sie haben verloren. Alle haben verloren. Wofür wollen sie mich verklagen?«
»Er hat was von unautorisiertem Aktienhandel gesagt, Sprengung von Kreditrahmen, Lügen, Fälschungen. Er hat gesagt, dass es auch Zeugen für einen Handel mit Insiderinformationen gibt … Hör mal, Roni, ich helfe dir so viel wie nötig, aber ich will nicht in Schwierigkeiten verwickelt werden.«
Roni blickte Sascha an und sagte: »Komm, wir schauen uns den Film zu Ende an, und danach beschließe ich, was ich mache.«
Gegen Morgen zog er seinen schönsten Hugo-Boss-Anzug an, band sich die Krawatte um und polierte seine Schuhe. Er fuhr zum Flughafen, kaufte sich ein Ticket nach Tel Aviv und atmete erleichtert auf, als sein Name im Computer nicht in Zusammenhang mit irgendeinem Ausreiseverbot auftauchte. Der erste Flug führte ihn nach Los Angeles, und dort stieg er um, zu einem Direktflug nach Tel Aviv. Nachdem er für das Ticket dreitausendsechshundert Dollar bezahlt hatte – Businessklasse, denn wenn er die Vereinigten Staaten schon verlassen musste, dann wenigstens mit Stil – und fünfzig Dollar für zwei blaue Zigarettenstangen, blieben ihm noch zweihundert Dollar in bar übrig. Fast vierundzwanzig Stunden später landete er in Gabis Wohnwagen in Ma’aleh Chermesch 3.
Zurück zur Basis
Der Ninja
Der schwarze Asphalt, der sich durch die Hügel schlängelte, kannte vieles: Reifen von Autos und gepanzerten Truppenfahrzeugen, das Klopfen von Eselhufen und Trippeln von Ziegen; schonungslose Sonne ließ ihn schmelzen, wütender Regen prasselte auf ihn nieder, und Schnee weichte ihn auf; Gewehrkugeln und alte jordanische Minen, große Felsbrocken und Planierraupenzähne, Betonblöcke von Straßensperren und regelmäßige Wintererosion rissen gähnende Löcher und ließen Rillen entstehen, färbten ihn in tausenderlei Grauschattierungen, öffneten und schlossen ihn für den Verkehr. Und an jenem Donnerstagmorgen: apokalyptisches Gelb am Himmel, so stürmische Winde, dass sogar die uralten Olivenstämme nachzugeben schienen und sich beugten, und dann ungezügelter Regen, der ohne Rücksicht auf Geschlecht, Hautfarbe oder religiösen Glauben alles überspülte und donnernd an die Fensterscheiben der Fahrzeuge und auf ihre Blechhaut prasselte. Das Aktualitätengeschwätz im Radio ging unter, die Gespräche der Sprechanlage verstummten, und sogar die Dialoge in den Autos selbst wie zum Beispiel der Streit, der in Otniel Asis’ verbeultem Renault Express zwischen seiner Tochter Gittit und seinem Sohn Jakir ausgetragen und durchaus lautstark wurde, verblassten, kapitulierten und machten Platz für Schweigen, Gedanken und Bewunderung der kompromisslosen Macht der Natur und des Allmächtigen sowie ein bisschen Angst vor all dieser Vehemenz. Im Falle von Hauptmann Omer Levkovitsch war es frustriertes Unbehagen. Sein nagelneuer David Jeep, der dicht sein sollte, ließ nicht nur kalte Luft eindringen, als wäre die Klimaanlage auf August gestellt, und die Sturzflut spottete dem Schiebedach, so dass es auf ausgewählte Stellen seines Körpers durchtröpfelte; sondern er fuhr, als er Madschdal Tur passierte, auch noch mit einem Reifen auf einen Ninja – zwei gebogene, miteinander verlötete dicke Nägel. Omer saß in dem nassen Autositz, wartete, dass der Regen nachließ, und sagte sich, du regst dich jetzt nicht auf, du atmest tief durch, dann wechselst du den platten Reifen und fährst weiter.
Das
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