Auf fremdem Land - Roman
war die an die Käfer im Mund, und auch die folgenden Erinnerungen hingen mit dem Mund zusammen. Immer war etwas mit seinem Mund. Zum Beispiel die rosa Vorrichtung, die seine Oberlippe wegdrückte, damit seine Zähne wachsen konnten. Es war ein ganz besonderes Teil, das keiner kannte, auch die Sprachlehrerin nicht. »Gabi Kupfer, hast du einen Kaugummi im Mund?«
»Nein, Frau Lehrerin.«
»Was hast du dann dort?«
»Das ist kein Kaugummi, Frau Lehrerin.«
»Komm her, zeig mir, was das ist.«
Er ging von seinem Platz zur Lehrerin, zog seine Lippe heraus, um ihr die rosa Plastikvorrichtung zu zeigen, wobei er versuchte zu sagen: »Dasis gein Gaugunni, Faulehlelin«, und das Kichern der Kinder zu überhören.
Und die Spangen, alle Arten von Zahnbegradigungen, die ständigen und die nur für nachts, diejenigen mit einem Gestell, das den Kopf umgab – er hatte eines, dessen Rahmen mit Gipsstoff überzogen war, damit es rassig aussah. Ja. Der rassige Gabi, sieben Jahre alt, mit einer Spange an den Zähnen, die mit einer gipsbeschichteten Brücke verbunden war. Sie erschien ihm wie ein Folterinstrument, wie ein Lampenschirm, der gleich an die Decke montiert wird und in seinem Gehäuse einen Leuchtkörper namens Gabi Kupfer baumeln lässt, um den Raum seiner Zähne zu erleuchten – schief, aber glänzend. Aus allerlei Gründen im Kopf eingravierte Bilder: die Fahrten mit Mutter Gila zum Kieferchirurgen, der einmal die Woche in einen Nachbarkibbuz kam, oder nach Kirjat Schmona oder gar Haifa, als die Behandlung weiter fortschritt; wie er mit Roni immer auf den Kibbuzpfaden zum Schwimmbecken, zum Speisesaal ging; Schimschon Kohen, der in den Kibbuz zurückkehrte, nachdem er zehn Jahre im Gefängnis gesessen hatte, weil er bei einem Streit in der Armee jemanden getötet hatte, wie er sie beide aufhielt, Gabi lächelnd betrachtete und sagte: »Was ist das, ein Vogel?«
Kurz vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis war Schimschon Kohen die meistdiskutierte Gestalt im Kibbuz. Der Großteil der Kinder erinnerte sich nicht an ihn, die meisten waren noch nicht geboren oder wirklich ganz klein gewesen, als er hineinkam, aber alle kannten die Geschichte, und in den Tagen vor der Entlassung stieg der Angstpegel unter den Kibbuzkindern, und um ehrlich zu sein, auch unter den Erwachsenen. Es ging jedoch alles glatt, und alle sagten, wie ruhig und nett er sei und wie gut er aussehe, und alle redeten von dem Video-Tape, das ihm jemand aus dem Libanon mitbrachte, wobei kein Mensch im Betrieb es wagte, ihm gegenüber auch nur ein Wort darüber zu verlieren, obwohl es manche gab, die fanden, dass er das Gerät in den gemeinsamen Fernsehraum bringen müsse, denn was sagte man dazu, dass er es ganz allein in seinem Zimmer einschaltete, ganz zu schweigen von den Stimmen, die aus diesem Gerät drangen, Roni und sein Freund Ziki hatten es gehört, hatten sich nachts hingeschlichen und unter dem Fenster gelauscht, und sie waren nicht die Einzigen. Und da war Schimschon Kohen, mit Lockenkopf, weißem Unterhemd und einer tätowierten Schulter, Jahre bevor sich jedes Kind die Schulter tätowieren ließ, und Stoppeln auf den Wangen. Kein Zweifel, sein Erscheinungsbild passte wie die Faust aufs Auge zum Mythos, zu den schaurigsten Phantasien. Der Mann, der einen anderen Mann mit eigenen Händen getötet hatte, weil er ihn geärgert hatte. Was also soll man zu einem solchen Mann, eine Woche nachdem er aus dem Gefängnis gekommen ist, sagen, wenn man elf Jahre alt ist und er dich fragt, ob dein siebenjähriger Bruder ein Vogel ist?
Roni sagte zu ihm: »Ja.«
Schimschon lachte und fragte: »Wer seid ihr?« Und Roni gab ihm mit zittriger Stimme Auskunft. Schimschon Kohen dachte kurz nach und sagte: »Ach ja, die Kinder, die …« Roni nickte, Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln, und schließlich zauste ihm Schimschon Kohen die Haare und fügte hinzu: »Pass auf den Vogel auf, ja?« Und Roni nickte wieder.
Ab da lächelte der entlassene Strafgefangene jedes Mal breit, wenn er Gabi sah, und zwickte den Jungen liebevoll in die Backe, und während Ronis Herz, wenn er die heisere Stimme hörte oder die große Tätowierung sah, immer noch pochte, benahm sich Gabi, als wäre er eben noch einer der Großen, einer von den netten.
Käfer und intensiver Geruch, glühende Hitze unter den nackten Fußsohlen und ein Schwimmbad im Sommer. Schlamm in den Stiefeln, strömender Regen und Heizspiralöfen im Kinderraum im Winter. Zahnspangen, die
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