Auf fremdem Land - Roman
Stützpunkts, zwei Wohnwagen, die miteinander verbunden worden waren. Davon abgesehen war die Stille vollkommen, nur ein gelegentlicher Wind bewegte eine Plane.
Die beiden Hälften der Synagoge waren erfüllt von Leben und Gebet. Die Männer mit ihren langen Bärten, ihren wehenden Schaufäden, ihren großen Kipas und dem sicheren Lächeln, ganz im Einklang mit sich selbst, beteten rhythmisch. Er machte Gabi im vorderen Bereich nahe der Thorarolle aus, gottversunken, vehement schaukelnd: Das war kein Gebet, das war ein Gespräch, ein Schrei, ein großes Weinen, ekstatischer Applaus. Eine Hingabe, die einen davontrug. Im einen Moment schien er zu weinen, im anderen Moment zu lachen, sein Gesicht zeigte Leid und dann Freude. Roni sah seinem Bruder von den hinteren Bänken aus mit einer Mischung aus Staunen und Stolz zu. Erstaunen darüber, dass der Junge ein Meister war, der Meister des Stützpunkts in wildem Gebet, noch einen Augenblick, und er würde den Wohnwagen aus den Angeln heben vor lauter Schwung; Stolz, weil der Junge intakt war, gläubig. Es schien, als gehe es ihm gut. Als sei er an seinem Platz angelangt. So hoffte er.
Roni verlor das Interesse nach wenigen Minuten. Er vermochte dem Gebet nicht zu folgen. Er schlüpfte nach draußen, versagte es sich, eine Zigarette anzuzünden, stand da und starrte die spielenden Kinder an. Ein Junge fragte ihn, wer er sei. Er antwortete: »Roni. Und du?«
»Chanania Asis«, erwiderte der Junge. Chanania Asis beäugte neugierig seine Kleidung, die nicht weiß war, die Bartstoppeln in seinem Gesicht. »Wie alt bist du?«, fragte er.
»Vierzigeinhalb. Und du?«
»Vierzigeinhalb? Von wem bist du der Großvater?« Roni lachte.
Als er wieder hineinging, zu den letzten Bänken, unterhielten sich zwei Bartträger mit leiser Stimme über Mamelstein und die Zivilverwaltung. Roni blätterte in den Schabbatheftchen, die auf den Tischen verstreut lagen. Auf einmal erhoben sich die Bärtigen und begannen, mit allen gemeinsam zu singen. Roni stand mit ihnen auf und setzte sich mit ihnen wieder. Innerhalb kurzer Zeit jedoch gab er die Versuche auf, die Herde zu imitieren, da er begriff, dass es niemanden kümmerte. Es gefiel ihm in der Synagoge, er blätterte in den Heftchen, beobachtete interessiert die Betenden, bewunderte die Mischung aus Herdengemeinschaft – gemeinsam singen, gemeinsam bücken, gemeinsam weiß gekleidet – und Individualität – die Kleidungsart, die Kipa, die Bewegungen beim Beten, die Gestik beim s chma jisrael .
Vierundzwanzig Stunden waren vergangen, seit er aus den USA geflohen war. Er lächelte matt. Ließ den Lärm, der in den letzten Monaten in seinem Kopf gedröhnt hatte, langsam abklingen. Er würde ein Weilchen hierbleiben. Ein bisschen Beruhigung in der Natur finden, sich erholen. Vielleicht prüfen, was man mit diesem Mussa und seinem Olivenöl anfangen konnte? Vielleicht in den neuen Wohnwagen einziehen, der im Stützpunkt eingetroffen war? Er schloss die Augen, und rings um ihn sangen die Männer mit großer, anschwellender Stimme zu Gott. Ja, dachte er, das würde er machen. Das Chaos hinter sich lassen. Er würde sich nicht beeilen. Würde sein Leben neu ordnen.
Eine fröhliche Melodie ertönte, ein chassidisches Lied. Anfangs öffnete Roni nicht einmal die Augen, für ihn fügte es sich ins Gebet ein, doch dann spürte er es – zuerst den Wandel in der Atmosphäre, dann die schockierten Blicke der Betenden, und schließlich das Vibrieren in seiner Hosentasche. Was machte das Telefon dort? Und wer rief am Schabbatabend an? Mit erschrecktem Blick musterte er die Synagoge. Wussten sie, dass er es war? Erkannten sie die Melodie als die Klingeltöne von Gabis Telefon? Ja, sicher wussten sie es. Er senkte den Kopf, stand auf und eilte in Richtung Tür, während die Melodie – nachher würde er entdecken, dass es sich um »In Breslau brennt ein Feuer« von Jisrael Dagan handelte – weiterspielte, lauter wurde, und die Blicke seinen Nacken verbrannten.
Draußen antwortete er. Es war Ariel. Er hatte über die Idee nachgedacht, für ihn klang es nach einer Bombensache. Wann könne er kommen, um das Öl zu sehen und zu probieren?, fragte er.
Kurzschluss im Hirn
Die Käfer
Jeden Sommer marschierten die schwarzen Käfer in den Kibbuz ein. Kleine, flinke Käfer mit sechs oder acht dünnen Beinchen, er konnte sich nie merken, wie viele Beine Spinnen und wie viele Käfer hatten, spazierten die grauen Betonpfade entlang, die sie aus irgendeinem
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