Auf fremdem Land - Roman
hergekommen?«
»Willst du, dass ich gehe?«
Gabi kehrte ins Wohnzimmer zurück, knöpfte das Hemd zu. »Nein. Ich freue mich, dass du da bist. Aber was ist passiert?«
Die Brüder tauschten einen langen Blick. Keiner von ihnen ließ locker. Schließlich lächelte Roni: »Ich hab’s dir gesagt, gar nichts, ich brauch ein bisschen Luftveränderung, das ist alles.« Doch das Lächeln erlosch, und der Blick dauerte an.
»In was für Schwierigkeiten bist du geraten, Roni?« Der Zweifel in Gabis Augen vertiefte sich. »Sie werden doch nicht kommen und dich suchen?«
»Nein, nein, du machst dir seltsame Sorgen. So warst du immer schon, ständig in Sorge. Jetzt beruhig dich mal wieder.«
Gabi gab nach. »Ein sehendes Auge und ein hörendes Ohr, die macht beides der Herr. Kommst du mit beten? Hilf wenigstens, einen Minjan vollzumachen, falls einer für das Zehnergebet fehlt.«
Roni lächelte. »Klar, was für eine Frage. Geh, geh nur, ich weiß, wo die Synagoge ist. Ich werfe mir nur ein Hemd über, und dann komm ich. Fangt ohne mich an.«
Als sich die Tür des Wohnwagens hinter Gabi geschlossen hatte, stand Roni von seinem Platz auf, ging zum Fenster neben der Tür, zog den Vorhang beiseite und sah, wie sich sein Bruder auf dem Pfad entfernte. Ein sehendes Auge, ein hörendes Ohr, was schwatzte er da? Er grinste. Kehrte ins Wohnzimmer zurück, steuerte geradewegs auf das Regal zu, auf dem sein Bruder das Mobiltelefon abgelegt hatte, setzte sich aufs Sofa, mit dem Telefon in der Hand, und schloss fest die Augen. Er versuchte, eine Nummer zu rekonstruieren, die er lange Zeit nicht benutzt hatte. Schließlich drückte er die Tasten.
»Hallo?«
»Ariel? Hier ist Roni.«
Eine Atempause von drei, vier Sekunden. »Roni?! Wo bist du? Ich glaub’s nicht, bei Allah. Was, bist du kurz zu Besuch da?«
»Ja. Nein … egal. Ich erklär’s dir bei Gelegenheit, ich bin gerade ein bisschen in Eile. Alles in Ordnung bei dir?«
»Du machst Sachen, echt, bei Allah.«
»Bist du immer noch verheiratet? Immer noch im Büro? Suchst du immer noch Geschäftsprojekte?« Roni wusste, dass die Antworten positiv ausfallen würden. Ariel war einer der beständigsten Menschen, die er kannte. Außer dass er vielleicht Haare verloren und Kinder gemacht hatte, würde alles bei ihm sein wie gehabt. Deshalb hatte er ihn angerufen. Er war ein grauer Buchprüfer und gehörte nicht zu dem Tel Aviver Kreis, dem Roni ausweichen wollte. Ariel wohnte in Herzlia.
»Hast du eine Geschäftsidee?«, fragte Ariel. Roni schmunzelte.
»Dreihundert Schekel für achtzehn Liter Olivenöl, ist das ein guter Preis?«
»Ich werd nachschauen. Ist es gutes Öl?«
»Was heißt hier gut? Die Crème de la Crème des Olivenöls. Direkt vom Baum abgefüllt.«
»Biologisch? Biologisch läuft gerade gut.«
»Na klar. Original biologisch.« Er blickte auf den Blechkanister ohne Etikett.
»Von welcher Ölpresse ist es?«
»Ölpresse? Roni-et-Mussa mbH, was heißt hier Ölpresse?«, erwiderte Roni.
»Mussa? Wo bist du? Gut, gib mir zwei Minuten, ich ruf dich zurück. Du hast mich am Freitagnachmittag überfallen, aber ich weiß, wen ich anrufen kann. Warte.«
Roni wühlte in der Zwischenzeit in seinem Koffer und fand ein schönes Hemd. Auf der Toilette rieb er sich Deodorant unter die Achselhöhlen, versprühte Parfüm und zog das Hemd an.
»Ein Bombenpreis«, sagte Ariel, als er zurückrief. »In Tel Aviv kostet gutes Olivenöl den Verbraucher mindestens vierzig pro Liter, und dort tauchen jetzt lauter Boutiquen für Olivenöl auf, hast du sie gesehen? Es ist der Wahnsinn. Ich habe einen Freund, der Teilhaber von so was ist, von einer Olivenboutique. In der Rothschild. Kennst du die?«
»Ich war seit Jahren nicht in Tel Aviv. Ariel. Deswegen ruf ich dich an.«
»Kurz und gut, er hat gesagt, du sollst zehn Stück bringen, und wir testen damit mal den Markt aus. Roni-et-Mussa, hast du gesagt? Wo sitzen sie?«
»Hör zu, ich weiß nicht, ob ich es schaffe, auf die Schnelle zehn Stück zu organisieren. Lass mich hier mit den Leuten reden. Wir werden sehen, was wir machen können.«
»Aber wirklich schmackhaft? Rein biologisch? Die ganze Extra-Virgin-Pressung, schu ismo , wie immer das heißt?«, fragte er.
»Wir reden darüber, Ariel, ich muss jetzt los.«
Der Schabbat senkte sich über den Hügel wie Regen, voll und frisch.
Als sich Roni eilig auf den Weg machte, war kein Mensch draußen, doch der Singsang der Gebete zog ihn zu dem großen Bau im Zentrum des
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