Auf fremdem Land - Roman
sich erinnern, wann das zum letzten Mal vorgekommen war – in dem Subaru des Kibbuz zum Ziv-Krankenhaus in Zefat.
Gila wurde untersucht, und die drei Männer verbrachten den Schabbat auf den Korridoren des Krankenhauses, tranken Kaffee aus dem Automaten, rauchten – nur Roni –, gingen im Zefater Viertel Nof Kineret spazieren, das nicht nur den See Genezareth überblickte, sondern auch die Golanhöhen und den Galil, fast bis zum Mittelmeer. Auch den Kibbuz konnte man von einem Punkt auf dem Hügelkamm sehen, aber Gila sollte diese Stelle nicht erreichen; es war ihr nicht vergönnt, den Kibbuz noch einmal zu sehen, den sie mitgegründet hatte. Der Krebs hatte sich in ihren Lungen ausgebreitet, und da sie zu spät ins Krankenhaus gekommen war, überlebte sie nicht länger als einen Monat.
Roni und Gabi waren schon an dem Abend, als sie ihre Adoptivmutter ins Krankenhaus einlieferten, miteinander versöhnt, doch nun verfestigten sich ihre Beziehungen noch weiter. Auf den Fahrten zum Krankenhaus und zurück und in den Stunden auf den Korridoren waren sie in dem Bedürfnis vereint, da zu sein, in der Nähe zu sein, und sie waren auch vereint in ihrer Sorge, ihrem Kummer und dem Begreifen, wie wenig selbstverständlich Blutsbande waren. Manchmal waren sie sich nicht sicher, ob sie in die onkologische Abteilung kamen, um Mutter Gila zu unterstützen, oder um Zeit miteinander zu verbringen. So oder so, sie waren zusammen.
Die Brüder Kupfer, Roni nun vierundzwanzig und Gabi zwanzig, waren in jener Phase so gute Freunde wie nie zuvor. In ihren Unterhaltungen ergänzten sie die fehlenden Teile aus den früheren Jahren: Ejal mit dem zerschmetterten Kiefer und die Entführung in der Obstbaumplantage, die Vernichtung des Ziergartens, die Anhalterreise zum Sinai sowie die unheimliche Autostoppgeschichte am Beit-Guvrin-Straßenkreuz. Ronis Ausbildungsgang bei der Brigade, der letzte Orientierungsmarsch, seine brennende Liebe zu Jifat und das erste, das zweite und das dritte Mal, als sie es machten, der Abschied, das gebrochene Herz. Die Beziehungen, der Zorn, die Kibbuzmitglieder, Jossi und Gila, Kollegen in den Arbeitssektoren.
»Was jetzt?«, fragte Roni seinen Bruder eines Tages kurz vor Sonnenuntergang, als sie auf der Bank außerhalb des Krankenhauses saßen. Rauch stieg von der Zigarette zwischen seinen Fingerspitzen auf.
»Jetzt?«, fragte Gabi und drehte seine Hand, um auf die Uhr sehen zu können.
»Nicht in der nächsten Stunde. Ich meine, was weiter.«
»Weiter?«
Roni wandte den Blick, um sich zu vergewissern, dass man ihn nicht sah, und warf die Zigarette weg. Dann drehte er sich wieder seinem Bruder zu und lächelte mit seinen braunen, schönen Augen. »Ja, was weiter. War’s das? Du in diesem Kibbuz, für immer?«
»Warum, denkst du an was anderes?«
»Ich hab als Erster gefragt.«
»Was weiß ich? Einstweilen ja, der Kibbuz. Ich schaue nicht zu weit. Das blendet mich, wie in die Sonne schauen. Wozu?«
»Geht’s dir gut?«
Gabi biss sich auf die Lippen und machte mit dem Kopf eine vage Bewegung. Er sagte: »Ist so ganz Ordnung, im Großen und Ganzen.«
»Genau davon rede ich«, erwiderte Roni. »Bei mir auch, wo geht’s mir denn schlecht? Die Luft ist sauber, das Leben einfach. Ich arbeite, schlafe, esse, vögle. Was mehr braucht der Mensch? Ministerpräsident werden wir ohnehin nicht mehr.«
»Wo ist dann das Problem?«
»Ich weiß nicht, es gibt noch mehr, oder nicht? Schau die Alten im Kibbuz an. Schau dir diese Generation an. Sie haben was gemacht. Haben was aus nichts gemacht. Sie haben Geschichte gemacht.«
»Wie Geschichte? Sie haben einen Kibbuz aufgebaut. Hatten sie eine Wahl? Sie haben sie fertiggemacht in Europa. Haben sie fertiggemacht mit den Arabern. Also haben sie einen Kibbuz gebaut und sind in den Krieg gegangen.«
»Auch ich hab früher mal so gedacht«, sagte Roni. »Das war’s, es gibt einen Staat, es funktioniert prima. Man braucht den zionistischen Traum schon nicht mehr zu verwirklichen. Man muss keinen Holocaust mehr überleben. Warum sollen wir uns nicht dran freuen, und das war’s? Was, müssen wir vielleicht hingehen und größere Ideale und größere Ziele suchen, nur weil die Alten einen Staat aufgebaut haben? Du liebe Zeit. Genau deswegen habe ich diese verschissene Kommandoeinheit verlassen. Alle dort haben gedacht, man müsste was machen, kämpfen, erobern. Genug damit. Schaut euch um, alles paletti. Alles ruhig. Man darf das Leben genießen.«
»Genau. Also
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