Auf fremdem Land - Roman
frag ich noch mal, wo ist das Problem?«
»Zuerst einmal, das ist eine Lüge. Es ist nie alles paletti. Und zweitens, okay, damals haben sie einen Staat aufgebaut und große, historische Dinge vollbracht, die wir nicht mehr machen müssen und nicht mehr machen werden. Aber das heißt nicht, dass ich mich nicht selbst verwirklichen kann, in persönlicher Hinsicht. Etwas mit meinem Leben anfangen.«
Gabi musterte die Landschaft. »Was heißt das, in persönlicher Hinsicht?«
»Dinge erreichen, ich weiß nicht, Geld, Erfolg. Schau mich an, mit fünfzehn war ich ein Basketballstar im Kibbuz und habe angefangen, im Rindersektor zu arbeiten, was der beste Zweig in diesem Kibbuz ist. Ich bin zur Golani-Brigade, der besten in der Armee. Und was jetzt, war’s das? Soll ich das ganze Leben lang im Kibbuz sitzen und genau das Gleiche machen? Ich kann mehr, oder nicht? Was machst du so ein Gesicht?«
»Ich mach kein Gesicht. Bloß, als du gesagt hast, dich selber verwirklichen, hab ich gedacht, du redest von was anderem. Was Innerem.«
»Hab ich das nicht gesagt?«
»Nicht direkt. Du hast von Geld geredet, Erfolg, äußerlichen Dingen. Ich rede davon, nach innen zu schauen. Zu fragen – wer bist du eigentlich, was machst du hier?«
Roni sah ihn mit einem etwas unbestimmten Blick an – vielleicht amüsiert, vielleicht erstaunt, vielleicht beides.
»Du warst bei zu vielen Psychologen, das ist dein Problem. Weißt du, was du brauchst?«, fragte er.
»Was brauch ich?«
»Du solltest vögeln, dringend.«
»Ich hab gevögelt.« Rein technisch stimmte das. Er hatte ein kurzes, unbefriedigendes Techtelmechtel mit Orit aus Ronis Klassenstufe gehabt, die vier Jahre älter als Gabi war, immer noch einen Piloten zum Freund hatte, der ab und zu Wochenendschichten in seiner Basis hatte, und sie ging immer noch aus, betrank sich und landete in unvorhergesehenen Betten. »Unbefriedigend« war eine zartfühlende Umschreibung. Traumatisch wäre das deutlichere Wort gewesen.
»Das kannst du vergessen.« Gabi hatte Roni das von Orit erzählt, und daraufhin hatte Roni ihn mit einer anderen bekannt gemacht. Es war nicht ganz so surreal gewesen, da weniger Alkohol im Spiel gewesen war. Aber dennoch. Roni schaute in die sinkende Sonne und schwieg einen Augenblick. »Weißt du, was? Vergiss das mit dem Vögeln. Du hast recht. Immer hab ich gedacht, das ist die Antwort. Für dich, für alle. Aber vielleicht hab ich mich getäuscht. Nein. Du musst dich verlieben.«
»Verlieben?«, fragte Gabi abwehrend.
»Genau, verlieben. Dann weißt du, wer du bist und was du hier machst. Dich verlieben, ja. Und weißt du, was? Vielleicht ist es auch das, was ich im Moment bräuchte.« Er stand auf und streckte sich. » Jalla , Bruderherz, schwing dich hoch, wir gehen.«
»Gehen wohin?«, fragte der kleine Bruder.
»Ich weiß nicht, wohin. Aber wir gehen und fangen was mit unserem Leben an.«
Heiße Tage
Der Befehl
Chilik Jisraeli kehrte aus Jerusalem zurück, nachdem er stundenlang in der Nationalbibliothek über seiner Doktorarbeit gegrübelt hatte. Der vorläufige Titel der Arbeit lautete »Pioniertum, Landerlösung, Ideologie: Die Kibbuzbewegung in vorstaatlicher Zeit als vorausbestimmter Fehlschlag«. Chilik wollte darin die ganze Palette der Vorzeichen anführen, die belegten, dass die Art der Errichtung der Kibbuze und ihre Entwicklung schon ein halbes Jahrhundert, bevor die Bewegung de facto auseinanderzufallen begann, ihr Scheitern vorhersehen ließ – angefangen bei der Aneignung von Land, den Entscheidungen über die Unterhaltsquellen, der Gewährung von Krediten und Vorzugskonditionen vom Staat über die Bedeutung von Parolen und Ideologie bis hin zur Überheblichkeit und Anmaßung einer geschlossenen Gesellschaft, entfremdet und abgehoben vom Volk, die nach ihrem eigenen Regelsystem funktionierte. Oder so ungefähr. Er war auf der Rückfahrt von seinem wöchentlichen Universitätstag, lauschte genussvoll dem »Concerto für Klavier in G-Dur« von Gershwin, bis er unterwegs mit Steinen beworfen wurde, von denen einer die Windschutzscheibe zersplittern ließ und schräg nach oben von ihr abprallte. Der Adrenalinschub ließ Chilik das Gaspedal durchtreten, das Blut schoss aus seinem Herzen in jede Ecke seines Körpers, die Angst ließ seine Fingerspitzen vibrieren und kribbeln, und während der Pianist wundervoll weiterspielte, beschleunigte der Wagen, hinauf nach Ma’aleh Chermesch und von dort nach Hause, nach Nummer 3.
Er hielt
Weitere Kostenlose Bücher