Auf fremdem Land - Roman
Windes und den gelegentlichen Regentropfen auf dem Dach, sagte er sich, das ist die Natur, nichts dagegen zu machen. Und das ist meine Natur, und ich werde nicht jeden Morgen auf Zehenspitzen schleichen. Außerdem, Ronis Symphonie, die er in der Nacht produzierte, war nicht weniger beeindruckend mit seinem Herumwälzen, den Seufzern, dem Schnarchen und Furzen. Also begann er, all diese Verrichtungen und Handlungen wieder in der gewohnten, unreflektierten Lautstärke auszuführen, von der Weckuhr bis hin zur Tür, hinter der er mit abklingenden Schritten verschwand, in einer Hand die Tüte mit den Gebetsriemen, zur Synagoge, zum Morgengebet.
Anfangs hörte Roni den gesamten Prozess, doch dann absorbierte sein gut geölter Schlafmechanismus die Geräusche, integrierte sie, und er segelte weiter in den Tiefen, bis er Stunden später von selbst erwachte.
An jenem Morgen war ein relativ großes Publikum in der Synagoge versammelt, vielleicht der erste Minjan, das erste Gebet mit über zehn Männern, seit langer Zeit. Damals hatte man die Leute persönlich aufgefordert zu kommen und sich bemüht, montags und donnerstags einen Minjan vollzumachen, was dann eine Zeitlang auch gelungen war, aber bald nahm die Müdigkeit wieder überhand, es wurden immer weniger, und man gab die Bemühungen auf. Es schien, dass nun auch die gekommen waren, die nur schwer aus dem Bett fanden, die sonst zu Hause die Gebetsriemen anlegten und eilig das Gebet sprachen, als ob sie alle den Drang verspürten, sich zusammenzuscharen, sich gegenseitig zu stärken – noch wussten sie nicht, weswegen und wozu, doch sie witterten etwas in der Luft. Es sollte fast ein ganzer Tag vergehen, bevor sich herausstellte, was es war. Die Sonne beschloss ihre Wanderung, von den dürren Hügeln im Osten bis zum Untergang hinter den äußersten Häusern von Charmisch im Westen, und nahm einen ganzen Tag voll Arbeit, Gebet und Studium mit sich – einen ruhigen Tag auf dem Hügel, einen weiteren heißen Tag zu Beginn des Sommers in Ma’aleh Chermesch 3.
Und die Sonne, die gleiche Sonne, setzte ihren Weg nach Westen fort. Nachdem sie Charmisch hinter sich gelassen hatte, wanderte sie auf ihrer Kreisbahn über die judäischen Berge, neigte sich zur grünen Niederung und zur Küstenlinie hinab, und noch weiter westwärts, unaufhaltsam, über Meere und Kontinente, Inseln und Länder. Als sie die Ostküste der Vereinigten Staaten des großen Amerika berührte, als sie in den Fenstern seiner Hauptstadt Washington aufblitzte, wo getreue Fahrradboten die noch dampfende Ausgabe der Washington Post , frisch aus der Druckerei, in Höfe, vor Türen und Terrassen, Büroeingänge und in Briefkästen warfen, als Lastwagen gebündelte Zeitungsstapel in Ladeneingängen ablegten und Zeichen durch Leitungen liefen, die Punkte auf Computerbildschirmen und Mobiltelefonen in aller Welt erzeugten, als verschlafene Leser, die gerade mit ihrer eigenen Symphonie erwacht waren, die Zeitung von der Schwelle aufhoben und beim Morgenkaffee, bei einem Toast, bei Cornflakes, in der Untergrundbahn, im Auto und im Büro darin blätterten – erst da begann eine Art Schmetterlingseffekt, der mit einem Zeitungsrascheln in Washington einige Zeit später einen großen Sturm auf Judäas Hügeln auslösen sollte.
»Reportage? Was für ein Bericht? Schuv-El, Schluss jetzt!« Otniel wunderte sich laut, als ein Anruf vom Gemeinderatsvorsitzenden ihn bei dem ruhigen Abendessen der Familie Asis störte, wozu auch gehörte, dass Frischkäse auf die Tischdecke geschmiert wurde, Spiegeleifetzen durch die Luft flogen und Apfelsaft auf den Boden platschte. »Was sagst du, Dov? Wer? Schuv-El, Schuv… !! Eine Sekunde, Dov, ich ruf dich gleich zurück.« Als er auf die rote Taste seines Nokias drückte, rasselte das Gerät sofort wieder los, ein weiterer eingehender Anruf. Es war Nathan Eliav, der Sekretär von Ma’aleh Chermesch. »Ja, Nathan, ja, ja, ich versteh dich nicht. Hör mal, ich muss hier … ich ruf dich gleich wieder … Rachel! Racheeel!!!«, schrie er, und beim dritten Mal, ein Zeichen für die Dringlichkeit der Angelegenheit, stand er auf und verfiel von der religiösen Betonung des Namens auf der letzten Silbe in die profane volkstümliche Version: »Raaachel!!!«
Für den gleichen Abend war eine Sitzung des Planungskomitees unter dem Vorsitz von Rachel Asis anberaumt. Scha’ulit Rivlin wiegte Zebuli auf ihrem Schoß, Gavriel Nechuschtan streichelte seinen mageren Bart, Chilik Jisraeli
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