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Auf in den Urwald (German Edition)

Auf in den Urwald (German Edition)

Titel: Auf in den Urwald (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Waluszek
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würde ich mich gerne mal bis China treiben lassen.«
    »Bis China ist langweilig«, meinte Edek. »In China gibt nur Fahrrad. In Texas ist besser, kannst du mir glauben.«
    »Ich war noch nie woanders.« Mirja hakte sich bei Edek unter. »Immer nur auf der Kirmes. Mama und Papa waren auch noch nie woanders. Ich glaub, Kirmesleute sind immer nur auf der Kirmes.«
    »Wenn Kirmes vorbei ist, in Herbst, kauf ich neues Auto. Dann können wir hinfahren woanders.«
    »Nach Paris?«
    »Ja, nach Paris, wenn du willst. Paris ist gut!«
    »Mama hat immer davon geträumt, nach Paris zu fahren. Sie hat schon als Kind Postkarten von Paris gesammelt. Aber es hieß bei uns immer: Später einmal, erst muss das Geschäft auf die Beine kommen. Ja, und dann war alles vorbei. Kein Paris mehr ...«
    Sie gingen eine Weile schweigend weiter.
    »Wann ist deine Mama gestorben?«, fragte Edek.
    »Letztes Jahr, im August. Wir waren gerade auf einer Kirmes in Frankfurt, ausgerechnet so weit weg von Konstanz. Das Geschäft musste ja laufen und der Professor sagte immer, Mama ginge es den Umständen entsprechend gut. Ja, und dann klingelte plötzlich das Telefon, an einem Freitag, um vier Uhr nachmittags. Ich saß gerade hinter der Kasse und verkaufte Chips. Jemand von der Klinik war am Apparat und meinte, ob er meinen Vater sprechen könnte. Ich sagte, er könne es auch mir sagen. Und dann hörte ich, meine Mutter sei gestorben. Gerade eben. Und wir sollten uns um die Überführung kümmern, weil sie in der Klinik nur 24 Stunden bleiben dürfte.«
    »Einfach so?«
    »Ja. Wir haben dann natürlich gleich zugemacht und sind nach Konstanz gefahren. Nachts um zehn waren wir da. Der Professor war auch da. Wir gingen in den Keller, in ein Kühlzimmer. Dort lag Mama.«
    Auf einer Brücke löste sich langsam aus der Dunkelheit ein Zug. Mirja und Edek blieben stehen und schauten ihm zu. Leicht zitternd schoben sich die Lichter seiner beleuchteten Waggons über das schwarze, träge Band des nächtlichen Flusses.
    »Hast du schon mal einen Toten gesehen?«, fragte Mirja.
    »Ja, mein Opa. Aber sonst nicht ...«
    »Hast du Angst gehabt?«
    »Ich war kleines Kind. Mutter sagte, Opa ist jetzt in Himmel bei Engel.«
    »Ich hab mich die ganze Fahrt über gefürchtet. Ich hab richtig gezittert. Aber dann, als ich bei Mama war, da war plötzlich alles vorbei. Sie lag so friedlich da, so klein, sie hatte durch ihre Krankheit sehr stark abgenommen. Sie sah gar nicht tot aus. Es sah sogar so aus, als hätte sie auf der Stirn Schweißtropfen, aber es waren nur Wassertropfen, vom Luftbefeuchter, wie der Professor sagte. Ich stand wie betäubt da. Ich konnte noch nicht einmal weinen. Aber Papa. Ich hab ihn so noch nie erlebt. Es hat ihm wehgetan, dass er nicht dabei gewesen ist, als sie gestorben ist. Zwanzig Jahre waren sie Tag und Nacht zusammen, und dann ... Alles durch das Geschäft ...«
    »Ja, aber was sollte deine Papa machen? Geht nicht anders, wenn Geschäft muss laufen.«
    »Das weiß ich auch. Aber er hat es irgendwie nicht verkraftet, du siehst es ja jeden Tag. Er ist ein ganz anderer Mensch geworden, du hättest ihn mal früher erleben sollen.«
    Der Zug war in der Dunkelheit verschwunden. Mirja und Edek gingen weiter.
    »Du, sag mal, glaubst du an ein Leben nach dem Tod?«, fragte Mirja und drückte sich noch fester an Edeks Arm. »Ich denke oft, wo Mama jetzt ist, und ob sie weiß, wie es uns geht.«
    »Weiß nicht«, überlegte Edek, »wenn Mensch tot ist, dann ist er tot. Aber vielleicht gibt eine Seele in Mensch und Seele lebt weiter?«
    »Ja, das hab ich auch bei Mama gedacht. Aber irgendwie war sie doch weg. Für immer.«
    »Nicht für immer. Weil ... na, weil sie ist immer noch deine Mama«, fiel Edek ein. »Eine Mama ist eine Mama, egal ob sie tot ist oder nicht.«
    »Das hast du schön gesagt, Edek.«
    »Äh, das hat gestern der verrückte Wilfried gesagt, bei ›Toten Mann‹ in Geisterbahn.«
    »Der Wilfried?«, staunte Mirja. »So verrückt ist das gar nicht. Ich denke wirklich oft, etwas von Mama wäre noch da. Früher, abends im Bett, da hab ich sogar noch mit ihr geredet.«
    »Ja, und ich hab früher bei meine tote Opa auf der Stube gedacht, er kommt gleich und sagt: ›Edek, wo hast du mit meine Pfeife gespielt und sie versteckt? Such schnell und du kriegst einen Zloty!‹«
    Mirja und Edek waren jetzt an einer Brücke angekommen. Links wies ein Straßenschild zum Hauptbahnhof.
    »Du, Edek«, bat Mirja, »lass uns doch ein bisschen

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