Auf in den Urwald (German Edition)
Reparaturkosten, Lohnkosten, Kranken- und Rentenversicherung noch mal 20.000 Euro ab. Bleiben genau 47.000 übrig. Im Winter muss die Geisterbahn untergestellt und überholt werden, also gehen noch mal knapp 5.000 für Lagermiete, Lacke und Teile runter. Bleiben 42.000. Unsere Wohnung in Renzberg will auch noch bezahlt sein, also müssen wir noch mal 8.000 im Jahr abziehen. Bleiben 34.000 übrig. Davon bezahlen wir dann noch mal Steuern, etwa 7.000 Euro. Am Ende behalten wir 27.000 Euro. Das heißt, Papa und ich haben am Ende im Monat jeweils knapp 1.125 Euro verdient.«
»Das ist ja nicht viel mehr als ich!«
»Genau, und wir haben das ganze Risiko. Und damit geht es auch schon weiter, denn in einem Punkt hat der Jeschke recht: Die Geisterbahn muss modernisiert werden, sonst bleiben uns die Fahrgäste weg. Aber wie sollen wir das schaffen?«
Mirja überflog noch einmal die Zahlen und schwieg ratlos. Edek streichelte sein Schnauzbärtchen und überlegte.
»Wir machen es wie bei meine Onkel in Texas, ganz einfach«, sagte er schließlich.
»Wie ganz einfach?«
»Wir machen Überfall auf Bank!«
»Ach, Edek, du immer mit deinen verrückten Ideen. Einmal könntest du wenigstens ernst bleiben.« Mirja packte die Zettel wieder in die Tasche, sie war von Edeks Albernheit sichtlich enttäuscht.
»Entschuldigung, war nicht so gemeint.« Edek lief rot im Gesicht an. »Für dich würde ich wirklich Bank ausrauben, weil, weil, äh ...«, er räusperte sich, fuhr sich sicherheitshalber noch mal über sein Schnauzbärtchen und platzte dann heraus: »Weil ich dich liebe!«
»Ich liebe dich doch auch«, sagte Mirja ganz selbstverständlich. »Aber du denkst gleich immer an Schießen und Bankausrauben ...«
Beide schwiegen und schauten sich an.
»Du musst noch mal mit dein Vater zu Jeschke gehen und sprechen, vielleicht ...«
»Ach, mit Vater!«, unterbrach ihn Mirja verärgert. »Mit Vater geht gar nichts mehr. Auf dem Rückweg hat er mich einfach stehen lassen, ist irgendwo in einem Geschäft verschwunden, Schnaps kaufen. Nachher liegt er wieder betrunken im Bett. Manchmal denke ich, er wäre besser zu Hause in Renzberg geblieben.«
Mirjas Augen bekamen einen weichen Schleier.
»Komm her.« Edek nahm ihre Hand, zog sie zu sich auf seinen Schoß und umarmte sie ganz fest. »Vielleicht passiert ein Wunder mit deine Vater.«
»Ich glaub nicht mehr an Wunder. Seitdem Mama tot ist, nicht mehr.«
»Man weiß nie. Bei uns in Dorf hat ein Mann auch immer getrunken«, erzählte Edek, während Mirja ihren Kopf auf seine Schulter legte. »Hat Schnaps selber gemacht, weißt du. Er hat früh gleich nach Aufstehen getrunken, dann Mittag, dann bis in Nacht. Seine Frau nur am Jammern und in Kirche am Beten. Dann kommt Silvester. Alle in Familie feiern, sind noch Brüder und Frauen und Kinder zu Besuch gekommen. Der Mann trinkt und trinkt. Auf einmal ist er weg. Keiner hat gesehen, wie er ist gegangen. Kommt Mitternacht. Seine Frau steht am Ofen in der Küche und schneidet eine Karpfen mit großes Messer Kopf ab.«
»Kopf abschneiden?« Mirja zog eine angeekelte Grimasse.
»Hier in Deutschland bei Silvester nicht?«
»Nein. Der arme Fisch!«
»Bei uns immer. Also, die Frau schneidet Kopf ab, da hört sie oben, auf Dachboden, Krach, als wenn umfällt die Badewanne.«
»Die Badewanne?«
»Ja, am Dorf haben alle Leute Badewanne auf Dachboden. Freitag wird Badewanne geholt und alle in Familie baden. Die Frau denkt: Warum fällt Badewanne um? Wer ist da oben? Sie geht in den Flur und horcht. Da oben ist aber ihr betrunkener Mann. Anstatt in die Schlafstube ist er mit seine betrunkene Kopf die Treppe nach oben gestiegen und will in Badewanne schlafen! Aber Badewanne ist zu klein und Mann passt nicht rein! Er stellt sie so hin, und so, und so, und nichts ist gut!«
Mirja lehnte sich zurück, ohne Edek loszulassen und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Seine Frau macht Licht an und geht die Treppe rauf. Sie ist aber so aufgeregt, dass sie ganz vergessen hat, langes Messer in Küche zu lassen. Sie ruft: ›Wer da?‹ Der Mann guckt und sieht die Frau mit Messer. Er denkt: Die Frau will mich jetzt totstechen! Lieber Gott, hilf! Er läuft, und kommt zu eine Leiter, die geht oben auf Dach. Der Mann geht die Leiter rauf. Die Frau ruft: ›Komm sofort zurück!‹ Der Mann kriegt noch mehr Angst. Er geht oben auf Dach. Die Frau denkt: Der Verrückte fällt von Dach, da liegt ein Meter Schnee, und alles ist ganz glatt! Sie geht schnell
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