Auf in den Urwald (German Edition)
fuhr sich über das Schnauzbärtchen. »Weiß nicht«, meinte er, »ich hab den Chef heute noch nicht gesehen.«
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Ne, aber du kannst zu mir auf Schoß kommen!«
Jeschke bückte sich über den Tisch, ganz nah an Edek heran, und blies ihm den Rauch ins Gesicht. »Pass mal auf, du kleine Ratte«, zischte er, »lass die dummen Sprüche! Und für dich bin ich immer noch ›Sie‹ oder ›Herr Jeschke‹, klar?«
»Klar, Sie oder Herr Jeschke.«
»So ist besser. Also, wo ist der Chef?«
»Weiß nicht.«
»So, du weißt es nicht. Aber ich. Mit einem Blaulicht haben sie ihn in Augsburg abgeholt, stockbetrunken. In welchem Krankenhaus liegt er? Los, wir haben noch etwas miteinander zu besprechen, ich hab nicht viel Zeit!«
»Weiß nicht, welches Krankenhaus, hab alles vergessen. Sie oder Herr Jeschke muss raten!« Edek rückte den Stuhl weg und legte bequem die Beine auf den Tisch.
Jeschke schoss das Blut in den Kopf. »Ich geb dir genau drei Sekunden Zeit. Dann hast du’s ausgespuckt.«
Er zählte bis drei. Als er fertig war, spuckte Edek wortlos neben sich auf den Boden.
Das war für Jeschke zu viel. Er machte eine Bewegung, als wolle er Edeks Beine vom Tisch reißen, und ... erstarrte. Er blickte in die Mündung eines Revolvers.
»Mach Zigarre aus, Jeschke, das stinkt!«, sagte Edek.
Jeschke zögerte.
»Mach, sonst gibt Loch in deine Birne!« Edek entsicherte den Revolver.
Jeschke schaute sich verunsichert auf dem Tisch um. »Ist kein Aschenbecher da«, meinte er.
»Dann geh mit deine stinkende Zigarre raus. Edek zählt jetzt bis drei. Eins ... zwei ...«
»Immer mit der Ruhe, Junge«, meinte Jeschke rasch und lächelte verkrampft. »Wir wollen hier keinen Lärm machen. Nicht nötig. Ich bin schon weg!«
»So ist besser. Und nächstes Mal schön ›Guten Tag‹ sagen, wenn du hier reinkommst!«
»Klar, kein Problem!« Jeschke heftete seine Augen auf den Revolver und ging langsam rückwärts zur Tür. Als er draußen war, brauchte er erst eine kleine Weile, um sich von dem Schrecken zu erholen, dann fluchte er los. Ihm war schon alles Mögliche unter die Hände gekommen, aber so etwas noch nicht! Jeschke schleuderte die Zigarre zu Boden, trat sie wütend aus und machte sich auf den Weg zur Achterbahn. Dort holte er Berthold, der gerade zu Mittag aß, aus dem Mannschaftswagen.
»Ist was, Chef?«, fragte Berthold.
»Der Kleine mit dem Schnauzbärtchen«, wollte Jeschke wissen, »der von der Geisterbahn, was ist das für einer?«
»‘n kleiner Angeber«, meinte Berthold und spuckte verächtlich durch seine Zahnlücke.
»Ein kleiner Angeber mit einem großen Revolver.«
Berthold lächelte. »Ach, der. Ist bloß eine Spielzeugpistole mit Platzpatronen. Hab sie mir mal genauer angeguckt. Der Kleine wollte mir weismachen, dass er damit in Mexiko einen erschossen hat.«
»Spielzeugpistole ...« Jeschke wurde noch wütender. Von einem Spielzeug hatte er sich ins Bockshorn jagen lassen. Es war kaum zu glauben.
»Pass mal auf, Berthold.« Jeschke schaute sich um, ob ihnen niemand zuhörte. »Willst du dir wieder mal ein paar Euros extra verdienen? Bist ein guter Mann!«
»Klar, Chef! Was soll’s denn diesmal sein? Soll ich der Laus eine Lektion erteilen? Der geht mir auch schon lange auf die Nerven. Ein Krankenhausaufenthalt vielleicht?«
»Das hast du gesagt!«
»Logisch, Chef! Sie zahlen und ich denke!«
Jeschke lächelte und zündete sich eine neue Zigarre an. Er sog den Rauch genüsslich ein. Sie schmeckte viel besser als die vorige. »Gut, mach mit ihm, was du willst. Hier hast du schon mal« – er suchte in seiner Jackettasche nach der Geldmappe, fand sie aber nicht. »Komm mal mit zum Auto«, fiel ihm ein.
Sie gingen zwischen den Wohnwagen zu dem weißen Porsche. Jeschke öffnete die Beifahrertür und langte ins Handschuhfach.
»Chef«, meinte Berthold, »der Schlüssel steckt noch im Zündschloss. Eines Tages ist das schöne Auto weg!«
Jeschke zog den Zündschlüssel ab und ließ ihn in der Tasche verschwinden. »Das ist der Stress, Berthold«, sagte er. »Überall lass ich das Auto offen herumstehen ... Dabei haben sie mir schon vor einem Jahr das schöne Mercedes-Cabrio gestohlen, ich war richtig traurig. Aber die Versicherung hat gezahlt, hab’s ihr anders erzählt ...« Er lachte.
»Ganz schön clever, Chef!«, bemerkte Berthold anerkennend.
Jeschke nickte zufrieden. Dann holte er aus einer Geldmappe 50 Euro heraus und gab sie Berthold.
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