Auf in den Urwald (German Edition)
»Mach dir dafür ein paar schöne Stunden. Und wie gesagt: Ich weiß von nichts!«
»Aber der Kleine wird’s bald wissen. Oder soll ich gleich die ganze Geisterbahn auseinandernehmen? Wär auch kein Problem ...«
»Nein, nein«, meinte Jeschke, »die lass mal vorläufig schön in Ruhe. Wenn ich sie erst mal gekauft hab, dann sehen wir weiter. Letzte Saison hab ich auch mein Geld in so ein abbruchreifes Ding gesteckt, ein Space-Lab ... Das ist nachher leider abgebrannt. Kurzschluss. Kann immer mal passieren. Die Versicherung war nicht gerade begeistert, aber sie musste zahlen. So, und jetzt klemm ich mich mal ans Telefon. Muss noch ein bisschen herumtelefonieren, einen alten Freund anrufen. Er wird sich freuen.«
Jeschke steckte die Geldmappe ein und ging. Berthold betrachtete den Geldschein. Er war nagelneu und nicht ein bisschen zerknittert. Ganz anders als das Gesicht von Edek. Das würde heute Abend alt aussehen. Ziemlich alt sogar.
Edek löschte alle Lichter, bis auf die innere Beleuchtung der Geisterbahn, nahm die Kasse aus der Schublade und ging nach oben zu Wilfried. Dieser beugte sich gerade über den Sarg und schüttelte den Kopf.
»Die Jacke von Onkel Ludwig ist kaputt«, meinte er erstaunt.
»Zeig mal.« Edek schaute nach. Tatsächlich. Die linke Kragenhälfte der Jacke und ein Teil der linken Schulter waren angerissen. Der verdammte Teleskoparm, der den echten »Toten Mann« aus dem Sarg springen ließ, war schuld. Er wurde durch eine starke Stahlfeder nach oben gedrückt, die später, wenn der Sarg zurückfuhr, mithilfe von Pressluft in ihre Ausgangsposition gebracht wurde. Damit diese Feder nicht mehr arbeitete, hatte Edek an dem entsprechenden Ventil für eine dauerhafte Zufuhr von Pressluft gesorgt. Offensichtlich musste sich das überbelastete Ventil durch das ständige Vor- und Rückwärtsfahren des Sarges gelockert haben. Jedenfalls war der Arm seitdem immer wieder an Onkel Ludwig vorbeigeschossen und hatte ihn leicht angehoben. Edek atmete tief durch. Er hatte noch einmal Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn der Arm Onkel Ludwig wirklich erfasst und aus dem Sarg gestoßen hätte. Womöglich geradewegs in einen der vorbeifahrenden Wagen! Er musste jedenfalls die Sache demnächst scharf im Auge behalten.
Edek holte den Schraubenschlüssel aus der Tasche, kroch hinter den Sarg und schraubte das Ventil fest.
»Alles wieder okay«, meinte er zu Wilfried, als er fertig war. »Morgen früh nimmst du Nadel und Faden und nähst Jacke wieder zu. Du kannst doch nähen, oder?«
Wilfried schüttelte den Kopf.
»Warum kannst du nicht nähen? Hat dir Onkel Ludwig in Urwald nicht gezeigt, wie Nähen geht?«
»Nein«, sagte Wilfried, unsicher lächelnd.
»Dann musst du deine Mama fragen, wie Nähen geht! Deine Mama kann doch nähen?« Edek warf von der Seite einen aufmerksamen Blick auf Wilfried.
Wilfrieds Lächeln verschwand. So kam Edek nicht an ihn heran. Er musste es anders versuchen.
»Na gut, egal Wilfried, ob deine Mama nähen kann oder nicht. Erzähl noch was von deine Onkel. Ist er immer nur durch Urwald gegangen oder durch Fluss geschwommen?«
»Nein«, sagte Wilfried, und sein Lächeln kam wieder zurück, »Onkel Ludwig hat nach Gold gesucht.«
»Nach Gold?«, staunte Edek. Vom Gold hatte Wilfried in seinem Tagebuch nicht ein Wort erwähnt.
»Ja. Am Amazonas gibt es viele Goldminen. Aber man muss lange nach dem Gold graben. Und dann muss man die ganze Erde, die man ausgegraben hat, waschen.« Wilfried rückte die grüne Perücke, die Onkel Ludwig durch die Erschütterungen tief ins Gesicht gefallen war, sorgfältig zurecht.
»Und dann?«, wollte Edek wissen, weil für Wilfried anscheinend das Thema schon beendet war.
»Dann findet man das Gold.«
»Richtiges Gold?«
Wilfried nickte.
»Hast du auch nach Gold gegraben?«, bohrte Edek weiter.
Wilfried nickte wieder.
»Und? Hast du Gold gefunden?«
»Ja.«
»Und dann?«
»Ich habe es Onkel Ludwig gegeben.«
Edek kniete sich auf der anderen Seite des Sarges hin. Wilfried hatte offensichtlich überhaupt keine Ahnung davon, was Gold war. Jedenfalls erzählte er die ganze Geschichte so, als hätten er und Onkel Ludwig nach Kartoffeln gegraben.
»Äh, Wilfried«, versuchte es Edek weiter, »hat deine Onkel Ludwig viel Gold gefunden?«
Wilfried überlegte. »Weiß ich nicht«, meinte er schließlich.
»Warum weißt du nicht? Wenn deine Onkel ganze Tag gegraben hat, hat er dann zwei Stück Gold gefunden, oder drei oder
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