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Auf in den Urwald (German Edition)

Auf in den Urwald (German Edition)

Titel: Auf in den Urwald (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Waluszek
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zehn?«
    »Mein Onkel hat nicht gegraben.«
    »Nicht? Gerade hast du Edek erzählt, deine Onkel hat gegraben!«
    »Wilfried hat gegraben!«
    »Und deine Onkel?«
    »Mein Onkel hat zugeschaut und gesagt: ›Wilfried, du bist mein bester Arbeiter! So müssten alle hier sein!‹«
    »Aha, deine Onkel hatte Arbeiter. Er war der Chef, oder?«, überlegte Edek.
    »Ja, er war der Chef!« Die Bezeichnung gefiel Wilfried anscheinend, denn er gluckste freudig.
    Edek rückte auf den Knien noch ein wenig näher an den Sarg. »Sag mal, Wilfried. Dann war deine Onkel Ludwig doch bestimmt ganz reicher Mann, oder?«
    Wilfried grinste. »Reich« und »arm« waren wieder so Begriffe, mit denen er nichts anfangen konnte.
    »Ich meine, deine Onkel hat bestimmt viel Geld gehabt. Große Autos, große Haus ...«
    »Ein großes Auto hat mein Onkel gehabt, einen Jeep. Damit ist er manchmal durch den Urwald gefahren, dort, wo man fahren konnte.«
    »Und eine große Haus?«
    »Das hat er nicht gehabt.«
    Edek wurde ungeduldig. Man musste Wilfried aber auch alles aus der Nase ziehen. »Und warum hat er keine große Haus gehabt?«
    »Weil er überall gewohnt hat«, stellte Wilfried fest, aber so, als ob es ihm gerade erst selbst klar würde.
    »Wo überall?«
    »Er hatte überall eine Hütte, auf jeder Goldmine.«
    »Auf jeder Goldmine??? Wie viele Goldminen hatte denn deine Onkel Ludwig?«
    Wilfrieds Stirn legte sich in Falten. Er murmelte und zählte etwas auf den Fingern ab. »Ich weiß nicht«, meinte er dann. »Aber einmal waren wir auf einer Goldmine, dann sind wir mit dem Flugzeug zu einer anderen geflogen, dann wieder zu Fuß zu einer anderen, dann mit Booten über den Amazonas noch zu einer anderen ... Mehr weiß ich nicht.«
    »Also mindestens vier Goldminen! Dann war deine Onkel Ludwig eine ganz reiche Mann! Der ist bestimmt in Gold geschwommen!«
    »In Gold geschwommen?«, wunderte sich Wilfried. Dann fiel ihm etwas ein. »Einmal, da hat es zwei Wochen lang geregnet. Tag und Nacht. Und dann war ein See entstanden, mitten im Wald. Und da hat Onkel Ludwig gesagt: ›Komm, Wilfried, wir müssen jetzt ein Floß bauen, sonst kommen wir nicht weiter!‹ Und Wilfried hat eine Axt genommen, und ...«
    Edek hörte Wilfried nicht mehr zu. Er sah vor seinem geistigen Auge Onkel Ludwig grinsend von Goldmine zu Goldmine fahren und das Gold einsammeln. Sicher hatte er mit der Zeit ein riesiges Vermögen angehäuft. Berge von Goldbarren, verteilt auf die Tresore von großen Banken. In Rio de Janeiro? In New York? In Augsburg? Nach und nach wurde Edek die Sache klar. Das war es also! Wilfrieds Mutter versuchte, an die Reichtümer des toten Onkels ranzukommen. Und bestimmt war es dabei ganz wichtig, dass keiner außer ihr von seinem Tod erfuhr. Edek merkte, wie ihm unter der Lederjacke heiß wurde. Daher auch die Million, die sie ihm anbot! Wie groß musste dann die Summe sein, die sie selbst erwartete? Zehn Millionen? Hundert Millionen? Eine Milliarde?
    Edek versuchte, sich die Menge von Geld vorzustellen, aber er schaffte es nicht. Stattdessen unterbrach er Wilfried, der mittlerweile auf dem frisch gebauten Floß unterwegs war, und fragte: »Wenn deine Onkel jetzt tot ist, wer bekommt ganzes Gold? Deine Mutter?«
    »Meine Mutter ...?«, meinte Wilfried, von Edeks Frage offensichtlich überrascht, fuhr aber nicht fort. Stattdessen versteinerte sich sein eben noch strahlendes Gesicht. Er erhob sich, klappte den Sargdeckel zu und erklärte: »Wilfried geht jetzt ins Bett. Wilfried ist müde.«
    »Warum erzählst du mir nichts von deine Mutter?«, fuhr ihn Edek an.
    »Weil Wilfried nicht will«, sagte Wilfried.
    »Und warum nicht?«, bedrängte ihn Edek.
    »Weil sie böse ist und weil sie lügt!«, platzte es aus Wilfried heraus. Dann ging er.
    Edek horchte auf. Eine Lügnerin also, eine Betrügerin!
    »Äh, warte!« Edek stürzte Wilfried hinterher. So erbost hatte er ihn noch nie erlebt. Das musste er schnell wiedergutmachen, damit Wilfried um Himmels willen nicht irgendeinen Blödsinn anstellte. »Morgen früh« – Edek zog Wilfried am Ärmel, bis dieser endlich stehen blieb – »morgen früh zeig ich dir, wie Nähen geht. Ist jetzt alles okay?«
    Wilfried schnaufte unwillig.
    »Nähen ist ganz einfach, Wilfried. Nadel hat Loch. In Loch kommt Faden. Dann kommt Nadel mit Faden in Loch von Anzug von deine Onkel, nein, nicht in Loch, neben Loch, da wo noch kein Loch ist ...«
    »... in Loch von Anzug, wo noch kein Loch ist«, wiederholte

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