Auf in den Urwald (German Edition)
Art von Lebensretter. Hätte sie sie nach dem Mord, wie eigentlich geplant, samt ihrem Inhalt beseitigt, hätte sie im Augenblick gar nicht so recht gewusst, wo man sich unauffällig eine richtige Waffe besorgte. So fiel sie ihr einfach in die Hände. Wie ein Geschenk des Himmels.
Sie klappte das Munitionsmagazin heraus und zählte nach. Sechs Kugeln steckten darin. Sechs Chancen. Chancen, die sie auf jeden Fall wahrnehmen wollte.
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E dek hatte die Zeitung schon dreimal aufmerksam gelesen, aber nichts mehr über den verschwundenen Toten in Augsburg gefunden. Im Grunde genommen gab es auch nichts Neues zu berichten. Onkel Ludwig lag noch immer im Sarg des »Toten Mannes« und gestern, an der Kasse, hatte Edek nicht eine einzige Bemerkung von den Fahrgästen gehört. Alle waren sie an dem Sarg vorbeigefahren und hatten sich von Onkel Ludwig erschrecken lassen oder sich über ihn amüsiert, ohne zu merken, dass es ein wirklicher Toter war.
Edek faltete die Zeitung zusammen und legte sie weg. So recht konnte er immer noch nicht glauben, was er vorgestern bei seinem Anruf gehört hatte. Die Polizei solle aus dem Spiel bleiben und eine Million Euro wolle ihm Wilfrieds Mutter für den Sarg geben! Selbstverständlich hatte Edek sofort begriffen, dass dahinter irgendeine andere, seltsame Geschichte steckte. Aber welche? Schon die ganze Zeit ging ihm diese Frage im Kopf herum, er dachte beinahe an nichts anderes mehr. Als Erstes war ihm natürlich gleich die Idee gekommen, Wilfrieds Mutter habe den Onkel umgebracht. Aber genau das konnte es nicht sein. Zum einen hatte sie viel zu überrascht reagiert, zum anderen stand in der Zeitung eindeutig, der Onkel sei ohne äußere Einwirkungen und unter Alkoholeinfluss ertrunken. Ein Unfall. Aber welch ein seltsamer! Warum war der Onkel aus dem brasilianischen Urwald nach Deutschland gekommen und warum ausgerechnet in Augsburg ertrunken? Und warum wusste niemand, wer er war? Es musste also ein anderes, verrücktes Geheimnis dahinterstecken, aber Edek mochte überlegen, so viel er wollte, er kam nicht darauf.
Deshalb war Edek auch gestern, nach Kirmesschluss, zu Wilfried gegangen, der gleich nach oben zu seinem Onkel verschwunden war, und hatte versucht, etwas aus ihm herauszubekommen. Erfahren hatte er nichts. Wilfried berichtete freudig von tagelangen Urwaldmärschen mit seinem Onkel, von Überquerungen des Amazonas und von seltsamen Ameisen, die nach Genuss eines giftigen Pilzes verrückt wurden, auf den Gipfel eines Baumes kletterten und dort starben. »Mein Papa hat ihn entdeckt, den einzigen kletternden Pilz der Welt«, sagte Wilfried stolz. »Wenn die Ameise tot ist, wächst der Pilz aus ihrem Körper, bildet Sporen, und der Wind verstreut sie über den ganzen Urwald!« Nur als Edek Wilfried über seine Mutter aushorchen wollte, da sagte er nichts mehr. Es war wie abgeschnitten. Genau wie in seinem verrückten Tagebuch, wo mittendrin ein paar Seiten fehlten, und wo danach nicht ein Wort mehr über sie zu finden war.
Edek goss sich noch etwas Kaffee in die Tasse und schaute auf die Uhr. In einer Stunde begann die Kirmes. Heute Abend würde er es noch einmal mit Wilfried versuchen. Irgendwie musste der Verrückte doch zu übertölpeln sein. Da hatte Edek schon ganz andere Sachen geschafft. Die eine Million, das stand für Edek fest, würde er auf jeden Fall versuchen zu bekommen. Er hatte sogar schon ein paarmal die Zahl auf ein Stück Papier geschrieben. Eine Eins mit sechs Nullen. Und wenn es funktionierte, dann war er reich. So richtig reich. Dann hatte er eine Million! Als Erstes würde er seine und Mirjas Schulden abzahlen. Dann würde er sich ein schnelles Auto kaufen. Nein, vorher würde er mit Mirja nach Paris fliegen. In das teuerste und beste Hotel.
Edek träumte den Gedanken nicht zu Ende. Er sah plötzlich durch das Fenster Jeschke an der Geisterbahn auftauchen. Er schaute sich um und entdeckte den Wohnwagen. Raschen Schrittes kam er auf ihn zu. Edek überlegte kurz. Auf einen solchen Augenblick hatte er schon lange gewartet. Jetzt würde er dem Banditen zeigen, was Sache war! Er sprang auf und stürzte zum Schrank. Als Jeschke wenig später, die übliche Zigarre im Mund, den Wohnwagen betrat, saß Edek schon wieder am Tisch.
»Wo ist der Chef?«, fragte Jeschke ohne Umschweife.
»Erst einmal ein schönen guten Tag«, wies ihn Edek zurecht.
Jeschke tat so, als würde er das überhören. »Ich hab gefragt, wo der Chef ist«, wiederholte er.
Edek
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