Auf in den Urwald (German Edition)
an ihnen vorbeigezogen waren. Der Mann hatte sich große Mühe gemacht.
»Na, dann viel Erfolg weiterhin!«, sagte der andere Polizist und schaute zu Wilfried hinauf.
»Danke, es wird bestimmt eine schöne Beerdigung werden!«, stellte Wilfried fest.
Die Polizisten schauten sich wieder an. Dieser Umweltschützer musste schon besonders verzweifelt sein, wenn er über die Zukunft so bitterböse dachte. Nicht umsonst trug er ein schwarzes Pappschild, auf dem in großen weißen Buchstaben geschrieben stand: »Politiker handeln langsam – die Natur stirbt schnell!«
Wilfried lächelte noch einmal zum Abschied. Dann bückte er sich, nahm mit der einen Hand das Seil auf, an dem er den Sarg auf seinen Rollen hinter sich herziehen konnte, balancierte in der anderen Hand das Schild aus, das ihm unterwegs jemand überreicht hatte, und ging weiter.
Die Polizisten waren wirklich sehr freundlich zu ihm gewesen. Alle Menschen waren heute freundlich zu Wilfried. Jedenfalls hätte sich Wilfried heute früh, als er aufgewacht war, nicht träumen lassen, welch schöner Tag ihm bevorstand. Aber schon als er den Wohnwagen verließ und oben auf der Rheinbrücke die vielen Menschen sah, die lärmten, Pappschilder und wehende Transparente und vor allem – Wilfried traute zunächst seinen Augen nicht – Särge mit sich führten, da ergriff ihn ein wehmütig schönes Gefühl. Da wusste Wilfried mit einem Schlag, dass der Tag gekommen war, an dem er Onkel Ludwig beerdigen musste.
Alles andere ging ziemlich rasch vonstatten. Wilfried wollte zunächst Edek Bescheid sagen. Aber an den heruntergelassenen Jalousien sah er, dass er und Mirja noch schliefen. Wecken wollte Wilfried sie auf keinen Fall. Noch zu gut hatte er Edeks Drohung in Erinnerung, er würde ihm den Kopf abreißen, falls Mirja etwas von Onkel Ludwig erfuhr. Also beschloss er, sich alles genau in seinem Tagebuch zu notieren und es Edek später vorzulesen.
Nachdem er seine Jacke und das Tagebuch geholt hatte, ging Wilfried in die Geisterbahn. Wie staunte er, als er den Sarg nach vorne gefahren und den Deckel offenstehend entdeckte! Onkel Ludwig lag friedlich grinsend da, die Perücke war ihm vom Kopf gefallen, und seine Arme waren auf der Brust gekreuzt. Es sah aus, als wolle er Wilfried sagen, er habe nun von seinem irdischen Dasein genug und sei nunmehr für den ewigen Frieden bereit.
Nur Ludwigs Jacke, die gefiel Wilfried gar nicht. Obwohl er sie gestern Abend noch sorgfältig genäht hatte, war sie schon wieder am Kragen zerrissen und vorne klafften in ihr ein paar hässliche Löcher. War vielleicht heute Nacht das Ventil losgegangen, das Edek immer wieder angeschraubt hatte? Nun, das war jetzt egal, es war eben geschehen. Und im Grunde war es auch kein Problem. Anstatt gleich zum Friedhof zu gehen, wie Wilfried es eigentlich vorhatte, würde er eben noch einen kleinen Umweg zum Venusberg machen. Dort würde er für Onkel Ludwig einen ordentlich Anzug besorgen. Er wusste noch genau, in welchem Zimmer und in welchem Schrank die Anzüge seines Vaters hingen.
Damit war alles Nötige berücksichtigt. Sogar die Frage des Sarges war geklärt. Edek würde ihm bestimmt nicht böse sein, wenn er gleich den hier nahm. Schließlich war er sein Freund. Und hatte Edek gestern nicht gesagt, dass Wilfried alles von ihm haben könne?
Wilfried klappte den Sargdeckel zu und hob den Sarg von den Schienen, so wie er es schon oft beim Abbauen getan hatte. Vor der Geisterbahn angekommen, ging er zum Tieflader und holte eines von den Seilen, mit denen die Geisterbahn beim Transport gesichert wurde. Er befestigte das Seil an dem Sarg, packte ihn und erklomm über eine steile Treppe die Rheinbrücke. Dort setzte er den Sarg wieder ab und reihte sich zwischen die vielen Menschen ein.
In dem Zug ging es recht unterhaltsam zu. Ein Mann sagte zu Wilfried: »Die durch die Klimakatastrophe verursachten Regenfälle haben in Deutschland die Weizenernte sehr schlecht ausfallen lassen. Und das wird demnächst weltweit so sein!«
»Ja«, bestätigte Wilfried sorgenvoll, »die triticum vulgare verträgt große Mengen Wasser nicht, ganz anders als die echte Hirse, panicum miliaceum .«
»Sind Sie Agrar-Ingenieur?«, wollte der Mann verwundert wissen.
»Nein, aber mein Vater war Pflanzenforscher. Wir waren zusammen im brasilianischen Urwald.«
»Den wird es leider bald auch nicht mehr geben!«, sorgte sich der Mann.
Ein anderer Mann meinte mit einem Blick auf den Sarg: »Wollten Sie mit dem
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