Auf in den Urwald (German Edition)
goldenen Sarg zeigen, dass die Industriebosse und die korrupten Politiker den persönlichen Gewinn vor den Umweltschutz stellen?«
»Es ist nur ein Sarg von der Geisterbahn«, erklärte Wilfried höflich.
»Das ist natürlich eine gute Idee, es denen da oben mal zu zeigen«, sagte der Mann überrascht. »Manchmal glaub ich nämlich auch, dass die Verantwortlichen mit ihren Gesetzen zum Klimaschutz Geisterbahn fahren und sich nachher wundern, wenn es auf der Welt immer mehr Hungertote gibt!«
Ein anderer Mann wiederum gab, wie schon gesagt, Wilfried ein Pappschild, weil er selbst ein großes Transparent tragen helfen wollte, das sich im Wind blähte. Kurzum – Wilfried hatte sich selten so wohl gefühlt und wäre gerne mit dem Protestzug weitergezogen. Aber heute ging es nicht. Heute hatte er etwas viel Wichtigeres zu tun.
Wilfried blieb stehen und kräuselte die Stirn. Wenn er es recht sah, dann durfte er jetzt nicht mit all den lieben Menschen links abbiegen, sondern musste geradeaus gehen.
Wilfried verabschiedete sich, was aber in dem gerade wieder ausbrechenden Lärm unterging, und änderte die Richtung. Bald ging es ziemlich steil bergauf und er geriet ziemlich aus der Puste. Aber gleich hatte er es geschafft! Schon sah er den weißen Zaun, der die Klinik am Venusberg von der Welt abschirmte.
Wilfried überlegte. Am besten, er ging noch ein Stückchen weiter entlang. Hinten gab es in dem Zaun ein kleines Tor und gleich dahinter war das Haus. Sie war jetzt bestimmt in der Klinik, wie immer um diese Zeit. Das war auch gut so. Ihr wollte er auf keinen Fall begegnen, der Lügnerin, die ihn bestimmt gleich wieder in eines der Häuser schicken würde, wo er nur den Tischtennisball aufheben durfte und wo die Zimmergenossen immer nur den Kopf hin und her warfen ...
Wilfried spürte einen Anflug von Wut. Dann beruhigte er sich wieder. Es galt, keine Zeit zu verlieren, er musste sich beeilen.
Wenig später stand er schon vor der Haustür. Sie war abgeschlossen. Wilfried überlegte nicht lange. Er stellte das Pappschild an der Wand ab, lehnte sich einfach gegen die Tür, drückte und sie flog krachend auf. Er packte den Sarg und trug ihn ins Wohnzimmer.
Hier roch es stark nach kaltem Zigarettenrauch, überall standen volle Aschenbecher und leere Gläser herum und die schweren Vorhänge an den Fenstern waren noch zugezogen, sodass das Zimmer in einem dämmrigen Halbdunkel lag. Wilfried schüttelte den Kopf. Welch eine Unordnung! Ein Grund mehr, sich zu beeilen!
Er ging rasch in das Schlafzimmer, in dem eine noch schlimmere Unordnung herrschte, und öffnete den Schrank. Mäntel hingen hier, Röcke, Blusen, Hosen, alles, nur kein Anzug. Er schaute sich um. Auf dem Nachttisch stand ein Glas Wasser. Das kam ihm wie gelegen. Er war nämlich auf dem letzten Stück ziemlich ins Schwitzen gekommen und hatte großen Durst.
Wilfried nahm das Glas und trank es aus. Es schmeckte ein bisschen bitter, aber nicht unangenehm. Es tat gut, wirklich gut, schade, dass es nicht noch mehr davon zu trinken gab ...
Er stellte das Glas wieder auf den Nachttisch. Wo waren die Anzüge seines Vaters? Wenn nicht im Schrank, dann vielleicht auf dem Schrank? Er stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute nach. Auf dem Schrank lag ein verstaubter Koffer. Wilfried holte ihn herunter und öffnete ihn. Na also! Da waren sie! Die Hemden, die Socken und die Anzüge!
Wilfried nahm den Koffer mit ins Wohnzimmer. Er klappte den Sargdeckel auf, zog Onkel Ludwig die Hose aus und streifte ihm die Hose des Anzugs über. Zufrieden lächelte er. Das sah schon mal sehr gut aus. Jetzt war die Jacke dran. Aber Onkel Ludwig sträubte sich ein wenig. Er wollte nicht so, wie Wilfried es gerne gehabt hätte.
»Wir müssen uns beeilen, Onkel Ludwig«, sagte Wilfried. »Hör auf zu wackeln!«
Onkel Ludwig machte nicht mit.
»Dann müssen wir es eben anders versuchen!«, entschied Wilfried. Er packte Onkel Ludwig unter den Armen, trug ihn quer durch das Zimmer und setzte ihn in den Sessel. Dann zog er ihm die alte Jacke aus und die neue an.
Onkel Ludwig grinste. Wilfried fand, dass er nun hervorragend aussah. Einer schönen Beerdigung stand nun nichts mehr im Weg, außer, dass er ihn noch ordentlich kämmen musste.
In diesem Augenblick fuhr Vanessa Jagenberg vor ihrer Villa vor. Sie hatte den gleichen Weg gewählt wie vorhin, hatte jedoch diesmal sehr viel Zeit verloren, weil sich der Verkehr wegen der Protestaktion in ganz Bonn aufgestaut hatte. Sie
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