Auf Inseln (German Edition)
erwartete mich. Ich dachte an meine Pflichten, die Messe, verschob dies aber auf den nächsten Tag. Meine Abwesenheit war mit Sicherheit bemerkt worden, aber ich hatte eine Entschuldigung. Obgleich es die Vorschrift gab, nach einem Stich sich in ärztliche Behandlung zu begeben, konnte man mir nicht vorwerfen, dass ich dies - nach dem Stich - nicht geschafft hatte. Das nannte man Narrenfreiheit. Würde der Stich Folgen haben? Eins war mir klar geworden. War man dumm und wahnsinnig, stand man Gott näher. Es schien, als ob jenseits Dummheit und Wahn der Glaube lag. Vermutlich war jeder unserer Bischöfe schon gestochen worden.
Die Straßen waren nass und die Temperaturen angenehm. Es dämmerte, hatte aufgehört zu regnen.
Der Weg zu meiner Stammkneipe war nicht weit. Die wichtigsten Querstraßen waren durchnummeriert, und zwischen der ersten und der, wo die Kneipe sich befand, war keine große Differenz. Ich hoffte auf Peter und Paul zu treffen, auf ein paar Mädchen mit Kopftuch und ich musste mir selbst zugeben, Katharina wäre mir sehr lieb gewesen. Ich würde ihr und meinen Freunden von der Wespe erzählen. Es hieß, dass viele nach dem Stich traumatisiert waren, ich aber fühlte mich noch frei. Dies war mein zweiter Stich. Ich war als Kind gestochen worden, aber ich erinnerte mich an nichts mehr. Ich bezweifelte die Wahrheiten, die sich mir während des Trips aufdrängten. Ich bezweifelte, dass ich als Kind Gott gesehen hatte. Ein Schaden für mein Leben war nicht auszuschließen. Ich war mir aber darüber uneins, ob für die geistige Gesundheit das Gift der Wespe auf Dauer schädlicher war als diese auf Paranoia, Furcht und Frust aufgebaute Gesellschaft. Der Wahn, der von dem Gift ausging, dauerte sechs bis sieben Tage, diese Gesellschaft erhob den Anspruch, bis zu den letzten Tagen zu bestehen. Man brauchte sich nur die Überwachungskameras anschauen – nicht zu unfreundlich – und es wurde klar, was hier gespielt wurde. Ich begann innerlich zu lachen, verdrängte den Ernst der Lage, war mir sicher, dass ich mit mehr Humor hier ein besseres Leben führen könnte. Ich neigte nicht sonderlich zu Humor. Alle meine sogenannten Freunde waren humorlos. Obgleich ich in meiner Wohnung gegessen hatte, beschloss ich, eines der leckeren Schnitzel mit Pilzsauce zu essen und wenn meine Freunde Hunger hätten, würde ich ein Essen ausgeben. Heute Nacht würde der Himmel sternenlos bleiben, die zwei Monde St. Peter und St. Paul unsichtbar. Ich hätte Katharina gerne vom Mond der Erde erzählt, der viel größer sein musste als unsere beiden, zumindest absolut. Die Gezeiten unserer Ozeane waren nicht unerheblich. Ich war vergleichsweise euphorisch, als ich die Kneipe betrat und vermutlich unglaublich naiv. Schnell entdeckte ich Peter und Paul, die statt Go Schach spielten. Hier wurde es sehr wahrscheinlich nach den gleichen Regeln gespielt, wie es unsere Vorfahren gespielt hatten, als sie die Erde verließen. Ich wusste, dass in der jahrhundertealten Geschichte des Spiels auf der Erde, die Regeln immer wieder verändert wurden. Vor solchen Änderungen hatten die Siedler auf New Avignon und New Havanna unglaubliche Angst. Nur so war zu erklären, dass Spielregeln wie Schach oder die Grammatik und Vokabular unserer Sprache nicht angetastet wurden. Hier wurde noch Englisch gesprochen, während diese Sprache auf der Erde längst in Vergessenheit geraten war. Die Zeiten waren nicht ganz vergleichbar. Während für uns ein Jahrtausend vergangen war, waren es für die Erde mehr als dreißigtausend Jahre. Um meine Hypothese zu überprüfen, würden weitere dreißigtausend Jahre auf der Erde vergehen, vorausgesetzt jemand stellte mir ein schnelles Raumschiff zur Verfügung. Wir beherrschten diese Technik. Meine Freunde schienen kaum gealtert und schauten mich ungläubig an. Ich hatte es versäumt, mich zu rasieren. „Wo hast Du gesteckt?“, wollte Peter von mir wissen. „Ich bin gestochen worden. Ich bin von einer Avignonwespe gestochen worden.“ Es war ihnen klar, was dies bedeutete. Ich zündete mir eine Zigarette an und schaute nach Margarete und übte meinen ersten fast verbotenen Blick auf ihren Rock. Sie sah mein Zeichen, kam zu mir und ich bestellte mein Schnitzel und mein Bier, vergaß dabei meine Freunde zu fragen, ob sie ebenso hungrig wären. Ich wartete ungeduldig auf mein Bier, meine Freunde offensichtlich auf eine Geschichte, denn soviel ich wusste, waren sie noch nie gestochen worden. Als mein Bier kam,
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