Auf Inseln (German Edition)
Sprechanlage macht sich bemerkbar. Es ist Julia Zoller, die ihn für in knapp zwei Stunden in Aufenthaltsraum B bestellt. Der Anruf ist knappgehalten, ohne besonders unfreundlich zu wirken. Wenig später lärmt das Ding wieder. Es ist Vanessa, die darüber klagt, wie schrecklich es ihr gehe. „Mit ein bisschen Übung gibt sich das“, meint Robert. „Für welchen Preis?“- „Ich glaube, man wird nicht mehr so schnell betroffen“ - „Das heißt, wenn du genauso besoffen gewesen wärst, wie ich, ginge es dir genau so dreckig“ - „Nicht ganz, mein Körper baut den Alkohol schneller ab. Eine Sache des Trainings“ - „Es spricht ein Mann mit Erfahrung. Ich kann mich gar nicht mehr an alles erinnern“ - „Hmm, ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit, obwohl ich auf den Job keinen Bock habe, aber das habe ich ja wohl schon gesagt“ - „Ich habe fürchterliche Kopfschmerzen“ - „Hast du ein Aspirin genommen?“ - „Schon zwei, nützt aber nur wenig. Ich fasse keinen Alkohol mehr an.“ Robert unterdrückt einen Kommentar. „Bis nachher dann“, sagt sie noch. Bisher war er an Bord überflüssig. Er hatte die Zeit alleine oder mit anderen, insbesondere mit Paul, totgeschlagen. An diese Art von Langeweile kann man sich gewöhnen. Ein bisschen Spaß mit und die Nähe zum anderen Geschlecht haben gefehlt. Robert denkt nicht in dem Begriff Liebe, dafür fehlt es ihm an Vorstellungskraft. Liebe gehört zu den Dingen, die jenseits seines Horizonts liegen. Er hält Liebe für etwas, dass in einer Märchenwelt angesiedelt ist, ein Begriff, der in seinem verkorksten Realismus nicht integrierbar ist. Es gab da einen Traum, eine Illusion an einem südlichen Strand, aber letztendlich war das eine bezahlte Märchenaufführung. Der Spaß und die Lust liegen diesseits des Horizonts, sie sind für ihn jederzeit vorstellbar, sichtbar, wenn auch praktisch unerreichbar. Und wer ist an allem schuld: die Gesellschaft. Das Unvermögen eines Kollektivs sich Regeln zu geben, die für alle eine größtmögliche Zufriedenheit bedeuten. Die, die Regeln aufstellen sind immer nur Teil des Ganzen. Mit ihren Regeln, von denen sie behaupten, dass sie von Gott stammen, bedienen sie ihre eigenen Interessen und ein bisschen die ihrer Schergen. Möglicherweise hat die Menschheit auf der Erde dieses Prinzip überwunden, weil sie sich trotz allem ein Schlaraffenland geschaffen hatten, ein Paradies, in dem Habgier absurd wurde, ein Paradies, in dem der Reiz, Macht auszuüben, fehlte. Im Schlaraffenland ist keine Macht nötig, ihr Prinzip erübrigt sich. Das Bestreben nach Macht ist eine Folge von Ressourcenknappheit. Womöglich war das Streben nach Macht, das Beherrschen wollen und sich beherrschen lassen im genetischen Code festgeschrieben, da dieser vom Überlebenskampf geprägt wurde. Aber schließlich hatten die Menschen diesen Kampf gewonnen, der für sie fast unmerklich von einem Heer von Automaten weitergeführt wurde, ohne irgendeine wahrscheinliche Gefahr, diesen Kampf jemals zu verlieren. Die Menschen begriffen, dass ihr genetischer Code, über Millionen Jahre entstanden, sinnlos geworden war. Das Streben nach Macht wurde sinnlos, Rollenspiele des Dominierens und des Unterordnens erübrigten sich, so wie dass es eigentlich sinnlos wurde, krank zu werden oder gar zu altern. Schließlich entfernte man den Tod aus dem genetischen Code. Ästhetische Vorlieben zerbrachen, zurück blieb vielleicht ein Sinn für formale Schönheit, Geometrie und Mathematik. Wie auch immer die Menschheit sich transformiert hatte, ist es für Robert völlig ausgeschlossen, dass die zukünftige Welt Mord kannte. Die Menschheit würde zum Mycel mutieren, das genau nur das können würde, was die Menschen von den Tieren unterschieden hatte: Denken. Aber macht Denken Spaß? Denken war in der Evolution der Menschheit mit Belohnungen verbunden, die nun keinen Sinn machen würden. Bestand der Sinn des Lebens darin, Mangel zu überwinden, wo war dann der Sinn, wenn es keinen Mangel mehr gab. Würde das Mycel noch Orgasmus ähnliche Zustände kennen? Konnte es Glück ohne Unglück geben? Die Vorzüge von Frieden kristallisieren sich in den Zeiten der Gewalt aus. Keine Geborgenheit ohne Schrecken und Einsamkeit. Womöglich war die Menschheit intelligenter geworden, konnte das philosophische Problem, dessen Lösung die Fähigkeiten von Robert überfordern, zu ihrer Zufriedenheit lösen. Kann sich der Mensch anmaßen, darüber nachzudenken, dass die Existenz Gottes
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