Auf Inseln (German Edition)
gehören natürlich auch die Kameras“, kommentiert Robert. „Streitet euch nicht. Es ist Sandra natürlich freigestellt, ein Kopftuch zu tragen.“ Vanessa zieht genüsslich an ihrer Zigarette. Robert blickt bei ihr nicht durch. Sie scheint ein Genussmensch zu sein, sucht seine Nähe und dennoch hält sie körperlich Abstand zu ihm. Sind es immer noch die Moralvorstellungen von New Avignon, die nachwirken? Oder braucht Vanessa den Körper von Sandra, nicht seinen? Die überraschende Aussage von Julia Zoller, dass sie eine intime Beziehung zu Rita Zoller hat, bestätigte seine Theorie, dass es homosexuelle Verhältnisse an Bord gibt. Unter dem Deckmäntelchen der Ehe ist alles erlaubt. Obgleich diese Vielweiberei, die es hier an Bord gibt, illegal ist nach den Gesetzen von New Avignon, denn dort ist es nur den Pfaffen und Bischöfen erlaubt, mehrere Frauen zu ehelichen. Hier gilt nicht mehr das Gesetz von New Avignon, sondern das ungeschriebene Gesetz, die Willkür von Hugo Scheffener, was nicht heißen soll, dass die geschriebenen Gesetze New Avignon nicht aus Willkür entstammen und ihre Anwendung willkürlich ist. Kann er sich auf das Wort von Julia Zoller verlassen, dass die Gespräche, auch dieses hier in Aufenthaltsraum C, nur aufgezeichnet, aber nicht abgehört werden. Im Zweifel wird sich das jemand anhören, denkt sich Robert. Mehr als dreißig Jahre Leben in einer Überwachungsgesellschaft sind genug, um sich an die neuen Verhältnisse anpassen zu können. Liebe wird nun vielfach hier im Dunkeln geschehen. Jeder von ihnen, auch der Mörder, hat gelernt, unter solchen Verhältnissen zu leben. Diese Maßnahme bringt nur etwas, wenn der Mörder tatsächlich ein Psychopath ist, jemand, der sich nicht unter Kontrolle hat, der sich um die Überwachung nicht schert. „Du willst tatsächlich nichts mehr trinken“ - „Das sage ich immer, wenn ich es übertrieben habe. Es ist immer noch schlimm.“ Sie lächelt ihn an. „Ich würde es gerne nach unserem morgigen Arbeitstreffen, wenn wir unsere Karteikarten mit Alibis und Verdächtigen gefüllt haben, wieder gemeinsam übertreiben.“ Paul sieht zu ihnen auf. „Ich weiß nicht, kommt auch ein bisschen drauf an, was als weitere Arbeit auf uns zukommt.“ - „Hier gibt’s nur Gründe zum Saufen. Wir haben einen Mörder unter uns, was ein besonders wichtiger Grund ist. Diese Kameras sind ein weiterer Grund und das ausgerechnet ich mich ihrer bedienen muss, ein weiterer“ - „Sonst hast du keine Gründe?“ - „Doch, es ist so furchtbar kalt draußen“ - „Ja, es ist sehr kalt draußen und die Luft recht dünn“ - „Also gut, ich nehme die Männer!“ Mit seinem Stapel Karteikarten in der Hand verlässt Robert Aufenthaltsraum C, um sich vorerst in seine Kabine zurückzuziehen. Unterwegs trifft er auf Dorothy Newton, die er fast gar nicht erkannt hätte, weil sie ein Kopftuch trägt. Sie grüßen sich nur kurz. Robert braucht ein paar Minuten für sich und einen kleinen Drink. In seiner Kabine angekommen, schaut er sich die Karten an, auf der in säuberlicher Schrift die Namen der männlichen Besatzungsmitglieder stehen. Auf seiner Karte ist vermerkt: kein Alibi. Eine Karte von Hugo Scheffener fehlt. Robert spendiert sich den Drink und eine weitere Zigarette. Das schmeckt alles nicht sonderlich gut, aber er bildet sich ein, diese Mittel für seine Identität zu brauchen. Robert ist davon überzeugt, dass ihre Arbeit nicht erfolgreich sein wird. Womöglich bekommt Marc den Auftrag, eine Art Lügendetektor zu bauen, wäre vielleicht möglich. Sie werden zu keinem Ergebnis kommen, und wenn sie vielleicht wirklich die Erde erreichen sollten, dann mit einem Mörder unter ihnen.
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Das Schiff fuhr mit unveränderter Geschwindigkeit nach Westen. Es war kurz nach Mitternacht, der Himmel über mir bewölkt, sodass ich Teile der Milchstraße und die beiden Monde St. Peter und St. Paul nicht sehen konnte. Die See musste ruhig sein, da das Schiff keinen großen Schwankungen ausgesetzt war. Das Forschungsschiff, die Sankt Bonifazius, war nicht besonders groß. Sie bot gerade mal Platz für die kleine Besatzung, für die sieben Versuchskaninchen und eine Handvoll Psychologen, die uns betreuten. Wir nahmen brav unseren Drogencocktail. Es gab hier aber weit und breit keine
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