Auf Inseln (German Edition)
nicht berücksichtigt. Ein Jahr noch, um auf Antworten zu warten, die vermutlich keiner der Klerikalen von New Avignon jemals bekommen wird. Sie üben sich in neokatholischen Spekulationen. Geht man von ihnen aus, ist die Apokalypse über die Erde längst gekommen, mit all ihren Fabelwesen und Zerstörungen. Nach der offiziellen Theologie ist die Menschheit auf der Erde ausgestorben, die Menschen in New Avignon sind ein kleiner Kreis von Auserwählten, aber dennoch dem Paradies sehr fern. Mal hören, was Chef-Theologe Paul von sich gibt, denkt Robert. Aufenthaltsraum C ist nicht weit. Vorbei an Kameras und Brenda Scheffener – die Frau hat schönes Haar – trifft er in C auf Paul, der das kleine Spiel schon auf einem der Tische ausgepackt hat. Robert organisiert eine Flasche Wodka und zwei Gläser. „Was treibt dich jetzt zu dem Spiel?“ - „Ich will deine göttliche Intuition bewundern“ Gott, in Form seines Werkzeug Paul gibt Robert auf dem kleinen Brett drei Vorgaben, trotzdem gelingt es ihm Robert, der sich nicht so recht mit dem Teufel einlassen kann, öfters zu besiegen. Mit zwei Vorgaben hat Robert so gut wie keine Chance. Dieser Unterschied an Intelligenz macht sich im Alltagsleben mit seinen geringfügigen Problemen nicht bemerkbar. Paul glaubt an eine Gottesgabe, vergleicht das mit Musikalität, die ja auch nicht jeden trifft. Robert hat ihn schon öfters darauf aufmerksam gemacht, dass die Supercomputer der Erde schließlich die von Gott gesegneten besiegen konnten, sodass sich für ihn die Frage stelle, ob Computer besser spielen könnten als Gott. Paul lehnt die Fragestellung, da unsinnig, ab. Robert gibt sich wirklich Mühe beim ersten Spiel, raucht sogar eine weitere Zigarette, aber er schafft es nicht, geht mit Pauken und Trompeten, einem Orchester ähnlich dem von Jericho, unter. „Du solltest es mal mit Sandra versuchen, die hat eine ähnliche Spielstärke wie du!“ - „Ich frage mich, warum diese Gottesanbeterin nicht diese göttliche Intuition besitzt, um dich vom Bett zu fegen. Womöglich verhindert das Kopftuch jeden weiteren Kontakt.“ - „Sie fragt immer wieder nach, ob ich in den Bibelkreis mitkomme“ - „Du solltest mal ein Kopftuch anziehen und gegen mich spielen. Im Bibelkreis würde sich das auch gut machen, denn dort herrscht Männerüberschuss.“ Gott zürnt Robert, der im zweiten Spiel noch vernichtender geschlagen wird. Hier an Bord, ganz anders als in New Avignon, ist es viel einfacher, Gotteslästerer zu sein. Das liegt daran, dass sie sich in einem sehr schnellen Raumschiff befinden; nicht so ohne Weiteres erreichbar für Gott, denkt sich Robert. Es macht ihm gewissermaßen auch Spaß Hugo Scheffener – Lästerer zu sein, dessen Augen und Ohren alles mitkriegen können, zumal er ihm öfters persönlich gegenübertreten muss. Vermutlich versteht Scheffener ihn, versteht das Spiel. „Du könntest ja vielleicht mitkommen“ - „In den Bibelkreis? Das würde lustig. Ich frag mich aber, ob Sandra dann nicht ausrastet. Andererseits könnten sie sich im Umgang mit Atheisten üben, sich im Missionieren üben .“ Es hat den Anschein, dass Gott ihn bei der dritten Partie gewinnen lässt, allerdings knapp. Paul scheint sich zu wundern, wie so etwas möglich ist. „Du als mein Freund machst dich doch unmöglich und damit wachsen die Chancen der anderen Typen Sandra zu besteigen“ - „Ich könnte mich gegen meinen Freund stellen und damit jede Menge Sympathiepunkte einfahren“ - „Die haben es nicht einfach in dieser atheistischen Umgebung. Sie sind wie eine Urkirche in einem heidnischen römischen Reich. Sie werden aber bestimmt gewinnen und dann geht’s so ab wie in New Avignon.“ - „Ich bin davon überzeugt, dass Religion sich mit Gerechtigkeit und Freiheit verbinden lässt“, kontert Paul.
Ein Jahr Zeit, die man irgendwie totschlagen muss, ist viel Zeit. Insbesondere wenn man sich in einer Art komfortablem Gefängnis befindet. Robert hat keine künstlerischen Ambitionen wie Malen oder das Schreiben eines Romans. Er hält sich auf diesen Gebieten für untalentiert. Ein Jahr Zeit ist soviel, dass er es sich durchaus erlauben kann, den Bibelkreis aufzusuchen. Die Motive von Paul sind ihm unklar, aber dieser hat ihn rum gekriegt. Der Besuch eines Bibelkreises bedarf aber einer gewissen Vorbereitung. Das Sammeln atheistischer, gesellschaftskritischer Argumente zum einem, zum anderen die Einnahme größerer Mengen geistiger Getränke, die unmittelbar
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