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Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Titel: Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Malangré
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der Hälfte der Erlösung finden wir eitel Harmonie
und fast langweilige Wonne, in der Hälfte der Verdammung eine Orgie der
Grausamkeit und des Schreckens, die ihresgleichen sucht. Die Drastik der
Höllenstrafen wird meines Wissens in der romanischen Plastik nirgends
kompletter und grausamer vorgeführt. Das Tympanon von Conques ist ein frühes
Gegenstück zu Dantes „Inferno“. Es gibt kaum eine Marter der Verdammten, die
nicht dargestellt wäre: der Höllendrachen verschlingt, am Spieß wird gebraten,
am Galgen wird gehängt, im Kessel wird gekocht, die Teufel schlagen, prügeln,
sie reißen Zungen aus. Satan ist im tiefsten „Register“ des Tympanon weit
größer als sein Gegenspieler Abraham; Satan lacht und quält. — Die Quintessenz
steht im Spruchband unter dem Tympanon: „O Peccatores“ — „O ihr Sünder, wenn
ihr eure Sitten nicht ändert, so wißt: ein hartes Gericht steht euch bevor!“
    Fragen wir uns, welche Funktion
Conques auf der „Via Podiensis“, die in Le Puy begann, hatte. Dann verstehen
wir auch das Tympanon.
    Conques war für die Pilger
„das, was sie seit Le Puy mit der Seele suchten“ 12 .
Und da, wo ihre Pilgerseele etwas Besonderes erwartete, mußte auch die
Botschaft von besonderer Bedeutung sein. Das war nun die Botschaft: „Sünder,
wenn ihr eure Sitten nicht ändert... ein hartes Gericht steht euch bevor!“
    Knallharter Anfang der „ernsten
Strecke“ des Pilgerweges, der zur tiefen Anforderung an das persönliche,
seelische Profil wird: Wo stehst du, Mensch? — Wo stehst du, Mensch? Das müssen
ja wohl auch wir uns fragen. Wo stehe ich Mensch? — Vor dem Tympanon von
Conques ist das eine sehr heilsame Frage.
    Diese Frage muß jeder für sich
beantworten. Der Rigorismus des großen Schaubildes macht die Antwort nicht
leicht — und doch, wenn man sich in dem Tympanon noch ein wenig sorgfältiger
umschaut, dann findet man auch hier geheimnisvolle Tröstungen. Zwei möchte ich
hier nennen:
    Da ist einmal die rührende
Gestalt des Mädchens Fides, das unter zierlichen Arkaden der ausgestreckten
Hand Jesu entgegensinkt. Wahre, sich selbst vergessende Seligkeit klingt an.
Die Hand des Erlösers ist eigens für Fides da: „Dich meine ich!“ Das Kollektiv
der Erlösung wird durchbrochen, Gott begegnet dem einzelnen Menschen. In der
Verdammnis gibt es diese persönliche Begegnung nicht. Sie könnte dort nur
persönliche Verurteilung sein.
    Da ist zum anderen das
Bilderfeld im zentralen „Register“ des thronenden Christus. Gleich neben der
verdammend gesenkten Hand sehen wir vier Engel. Zwei davon sind Christus
zugewandt, zwei der gleich daneben beginnenden Hölle. Es stimmt also nicht
ganz, wenn man sagt, Christus teile das Tympanon „halb und halb“ in Gut und
Böse. Es gibt in Wirklichkeit einen gewissen „Überschuß“ des Guten, des
Himmlischen. Ferner will mir scheinen, das Kunstwerk möchte sagen: Neben der
verurteilend gesenkten Hand läßt Christus nicht gleich die Hölle beginnen,
sondern er hat himmlische Wesen zur Wacht und Hilfe in eine „Zone der Gnade“
berufen, die vor dem ewigen Tod hegt. Ähnliches sehen wir auch im unteren
Register an der Begegnungsstelle von Himmel und Hölle. Hier schnappen eifrige
Beichtväter der Hölle noch gerade zwei Seelen weg. Ein großer Teufel mit schon
wartender Keule schaut wütend zu.
    So läßt uns denn auch das
Tympanon von Conques nicht ohne Hoffnung weiterziehen zu den anderen Orten an
den französischen Pilgerstraßen: Cahors, Moissac, Toulouse, Oloron.

10. KAPITEL

Die Kunst II
     
     
    Nach dem Besuch in Conques
fahren wir weiter nach Cahors, Moissac, Toulouse und Oloron.
    Cahors: Hier kommt eine neue
Dimension ins Spiel, eine Dimension des Himmlischen. — Schauen wir uns in
Cahors das Tympanon an der Kathedrale St-Etienne an. Im Kapitel „Die Wege“ habe
ich gesagt: „Die Härte des fetzten Gerichts’ von Conques findet eine erlösende
Fortsetzung.“ Was habe ich damit gemeint?
    Das „Thema“ von Cahors ist gar
nicht so einfach zu fassen. Wenn wir das Tympanon der Kathedrale nach seinem
Inhalt befragen, dann ist zunächst der Christus in der Mandorla zu erwähnen. Er
segnet mit der Rechten und hält in der Linken ein Buch. Unterhalb des Christus
sehen wir in der ganzen Breite des Tympanons einen hohen Figurenfries: Maria in
der Mitte, die Apostel neben ihr. Diese Figuren stehen ruhig beieinander und
scheinen traurig oder verwundert darüber zu sprechen, daß Jesus von ihnen in
den Himmel aufgefahren

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