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Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Titel: Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Malangré
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ist. Wir erkennen die Trennungslinie zwischen den Stehenden,
Nachblickenden, Zurückbleibenden und dem, was darüber geschieht. Über dieser
Trennungslinie ist der „Zweite Akt“ der Himmelfahrt dargestellt: die Ankunft
Jesu im Himmel! Wir sehen himmlische Wesen, Engel, in fast verrückter Freude um
ihn tanzen und schweben, von den Seiten, von oben. Das steht im totalen
Gegensatz zur statischen Haltung der noch Erdgebundenen. Die Himmlischen haben
begriffen: Es ist vollbracht. Sie jubilieren mit überschwenglicher Bewegung. —
Lassen wir alles andere, das in Cahors dargestellt ist, beiseite:
Stephanusbericht, Himmelfahrtsgemeinde auf Erden... es genüge hier der Hinweis
auf die „Welt des Himmlischen“, die sich ganz anders verhält als unser steifes,
unwissendes, nur leise ahnendes Erdengebaren, die sich einfach losläßt und
maßlos freut. Hier in Cahors begegnet uns nach den Drohungen des Gerichtes die
neue Welt des Himmlischen. Engel jubeln in völlig entspannter Freude um den
heimgekehrten Erlöser — dessen Mandorla den unteren Fries der Zurückbleibenden
nicht ganz verläßt und so auch uns, der Maria, den Aposteln, den betrachtenden
Pilgern diese Freude verheißt, für später.
    Und dann Moissac! Der nahtlose
Anschluß an Cahors erscheint genial. Kann das geplant sein? Das Ehepaar Hell
erläutert in seinem Buch: „An der Kathedrale St-Etienne“ — also in Cahors —
„hat sich ein Tympanon erhalten, das um 1135 entstanden sein muß...“ 53 Über Moissac
berichten sie: „Im Jahre 1180 konnte ein neuer Kirchenbau eingeweiht werden,
von dem sich das Südportal der narthexähnlichen Vorhalle erhalten hat.“ 54 Also: Cahors um
1135, Moissac um 1180 — das läßt die Deutung zu, daß eine „Fortsetzung“ recht
gut denkbar ist. Cahors und Moissac sind voneinander nur etwa 60 km entfernt! —
So versuchen wir, der geistigen Kontinuität nachzuspüren.
    Das „Thema“ des Tympanons von
Cahors war die Ankunft Christi im Himmel und die Begeisterung der himmlischen
Geister über diese Ankunft. In Moissac bleibt die — angedeutete — Mandorla mit
dem in den Himmel erhobenen Christus das Zentrum des Bildwerks. Es bleiben auch
die himmlischen Wesen in ihrem freudigen „Umtrieb“ um den Herrn. Aber die
Gesamtszene wandelt sich, die Figuren werden andere. Standen in Cahors noch
Maria und die Apostel als Zurückgebliebene auf dem „Erdenfries“, so gibt es
diesen in Moissac nicht mehr. Alles ist Himmel! Und dieser Himmel von Moissac
ist angefüllt mit Figuren aus der Apokalypse des Johannes. In Cahors war es das
„Nachgeschehen“ zur Apostelgeschichte (Apg 1, 9-10), in Moissac ist es die
Verbildlichung der Geheimen Offenbarung, sozusagen als „nächste Stufe des
Geschehens“. Die Schrift sagt: „Als es“ — gemeint ist das Lamm Gottes, nämlich
Christus — „das Buch empfangen hatte, fielen die vier Lebewesen und die
vierundzwanzig Ältesten vor dem Lamm nieder; alle trugen Harfen und goldene
Schalen voll von Räucherwerk; das sind die Gebete der Heiligen. Und sie sangen
ein neues Lied...“ (Offb 5, 8-9). Dies ist die Situation des Tympanons von
Moissac. Wir können diese Situation noch ein wenig besser verstehen, wenn wir
ihre Vorgeschichte nachlesen: „Und ich sah: Ein Thron stand im Himmel; auf dem
Thron saß einer, der wie ein Jaspis und ein Karneol aussah. Und über dem Thron
wölbte sich ein Regenbogen, der wie ein Smaragd aussah. Und rings um den Thron
standen vierundzwanzig Throne, und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste
in weißen Gewändern und mit goldenen Kronen auf dem Haupt“ (Offb 4, 1-4). Diese
vierundzwanzig Ältesten werden wir uns nun noch anschauen. Doch sie sind nicht
die „nächste Umgebung“ des himmlisch verklärten Christus. „In der Mitte, rings
um den Thron, waren vier Lebewesen voller Augen... Das erste Lebewesen glich
einem Löwen, das zweite einem Stier, das dritte sah aus wie ein Mensch, das
vierte glich einem fliegenden Adler“ (Offb 4, 6-7). Diese „vier Lebewesen“ —
sie gelten in der christlichen Bilderdeutung auch als die vier Evangelisten:
Matthäus = Mensch, Markus = Löwe, Lukas = Stier, Johannes = Adler — haben
ähnlichen Schwung wie die Engel um Jesus in Cahors. „Eine Ergriffenheit von
elementarer Gewalt hat sie gepackt, läßt sie die Köpfe in unerhört kühner
Körperbewegung über das Rückgrat hinweg dem Gottkönig zuwenden. Wenigstens die
Tiergestalten. Der Matthäus-Engel aber, menschlicher Gebärde mächtig,

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