Auf Schokolade und ewig!
blieb sie doch lieber allein und hoffte darauf, dass ihr Vater mindestens neunzig wurde.
Jetzt war sie an den Wasserfällen angekommen. Ehrfurchtsvoll schaute sie zu, wie das Wasser über die Felsen rauschte. Wie viele Frauen hatten schon etwas so unglaublich Schönes direkt vor der Haustür? Und wie viele Frauen hatten schon die Möglichkeit, in so einer hübschen Stadt zu wohnen, in der es so viele wunderbare Menschen gab? Dann blieb sie eben allein. SchlieÃlich hatte sie wenigstens eine Familie und gute Freunde, die das Alleinsein etwas erträglicher machen würden. Und â was war das denn dort? Sie kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
Eine Frau in einem langen weiÃen Kleid verschwand hinter dem Wasserfall.
Muriel blinzelte. Okay, anscheinend litt sie jetzt schon an Halluzinationen.
Aber nein, da war die Frau schon wieder. Ein Schauder lief Muriel über den Rücken, und sie schnappte nach Luft. Das konnte nur der Geist der verlorenen Braut sein! Sie lief zum Ufer des Icicle Creeks, um freiere Sicht zu haben.
Muriel war noch nie die Sportlichste gewesen. Und weil sie es so eilig hatte, stolperte sie prompt über eine Baumwurzel und purzelte das Flussufer hinunter, bis sie direkt am Wasser liegen blieb. Mühsam kam sie wieder auf die FüÃe und starrte, schmutzig und nass, zu den Fällen hinüber.
Doch sie sah nur rauschendes Wasser.
Wunschdenken, redete sie sich ein, bevor sie zurück zum Wanderweg stapfte. Sie war wütend auf sich selbst. In naher Zukunft würde es ganz sicher keinen Heiratsantrag geben.
Sie würde nicht noch einmal auf dem Lost-Bride-Wanderweg spazieren gehen. Nie mehr!
Und schon war der Sommer vorüber. Das erste Septemberwochenende mit dem Tag der Arbeit stand an und damit die letzten Ferientage für die Grund- und Highschool-Schüler. Für die Ãlteren begann ein neuer Lebensabschnitt. Pat würde zum Cascade Junior College wechseln, und Olivia hatte sich für eine Kochschule entschieden. Lenny würde auf die Washington-State-Universität ganz in der Nähe gehen, und Nils war auf der Universität von Washington angenommen worden, wo er Pharmazie studieren wollte. Vor seiner Abreise hatte er jedoch Hildy noch einen Antrag gemacht, die ihn angenommen und versprochen hatte, auf Nils zu warten. Hank Carp hatte Stephie geschwängert, und sie würden am kommenden Wochenende heiraten. Sogar Arnie wollte weggehen. So wie Nils würde auch er zur Universität von Washington wechseln, um dort Wirtschaftswissenschaften zu studieren.
Muriel war eine der wenigen, die blieb. Sie würde weiter bei Sweet Dreams arbeiten. Und sie hatte beschlossen, dass sie glücklich darüber war. Daddy hatte ihr eine Aufgabe gegeben, die ihr wirklich gefiel â sie sollte ein Logo für die stetig wachsende Firma kreieren. Und er hatte ihr auch versprochen, dass sie die Texte für den nächsten Katalog schreiben durfte. Das war zwar nicht ganz so aufregend wie ein Artikel für Womanâs Day , aber es war zumindest schon einmal die richtige Richtung.
Ja, sie hatte beschlossen, dass sie mit ihrem Leben rundum glücklich war. Wie viele Frauen hatten schon ihre eigene Schokoladenfabrik?
Trotzdem, als sich am Freitag der Feierabend näherte, merkte sie, dass sie aus dem Fenster auf den Wenatchee River blickte, über ihr Leben nachdachte und seufzte. Etwas fehlte.
Besser gesagt, jemand fehlte.
Sie schüttelte den Kopf. Was nützte es, immer wieder einem alten Traum nachzuhängen? Sie musste ihr Leben weiterleben. Vielleicht sollte sie ein paar Abendkurse am Cascade Junior College belegen, Schreibkurse, die es ihr irgendwann ermöglichen würden, einen Roman zu schreiben? Oder vielleicht sollte sie noch einmal versuchen, den einen oder anderen Artikel bei einer Zeitschrift unterzubringen? Sie könnte darüber schreiben, wie man eine Trennung überlebte. Allerdings war es wohl kein sonderlich guter Ratschlag, Trübsal zu blasen.
Als sie kurz darauf den Laden abschloss, hörte sie auf einmal das Röhren eines Motorrads, das immer näher kam. Sie drehte sich um und sah einen schlanken Mann in Jeans und schwarzer Lederjacke heranbrausen. Einen Mann mit blonden â kurzen â Haaren? Trotzdem, es bestand kein Zweifel, wer dieser Mann war.
âStephen!â Muriel lieà ihre Handtasche fallen und rannte ihm entgegen, sodass er kaum Zeit hatte, das Motorrad anzuhalten
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