Auf Umwegen ins Herz
einen tiefen Atemzug. „Und dann meinte sie noch, sie wäre halt sehr ungeschickt und ihr fiele regelmäßig was aus der Hand. Und wenn ihr Mann abends nach Hause kommen würde und es nicht picobello sauber sei, dann wäre sein Ärger doch verständlich.“
Julian rollte seine Augen.
„Immerhin habe er einen anstrengenden Tag hinter sich. Er möchte sich daheim wohlfühlen und sich nicht an einem unsauberen Fußboden stören müssen.“
Julian ballte seine Hände zu Fäusten. „Ich hasse diese Machtlosigkeit als Außenstehender. Wieso, verdammt noch mal, lässt sie sich nicht helfen?“
„Keine Ahnung … Sie meinte, sie würde ihn nie verlassen, denn in ihren Augen wäre sein Verhalten gerechtfertigt. Sie würde ihn lieben und brauchen wie die Luft zum Atmen.“
Julian verfolgte meine Erzählung mit denselben Gesichtsregungen, die Carola damals wahrscheinlich an mir beobachten konnte. Die Unterhaltung, die daraus entstand, war eigentlich keine, die man während des Essens führte. Und doch war ich von seinem Fachwissen fasziniert – und das, ohne dass er dabei überheblich wirkte. Trotzdem war ich erleichtert, als Julian das Thema wechselte und von Neele und ihren Eigenheiten zu erzählen begann.
Was soll ich sagen: Ich war begeistert von dem Mann! Sobald er von seiner Hündin sprach, sah ich an seinen Augen, wie sehr er sie liebte. Neele war weit mehr für ihn als nur irgendein Tier. Für mich waren bisher alle Haustiere gleich. Sie machten Mist, nahmen die Zeit ihres Besitzers in Anspruch und kosteten womöglich auch noch ungeheuer viel Geld. Ich hatte nie ein Haustier, für meine Mama wäre das finanziell nie möglich gewesen. Als ich dann in meine eigene Wohnung zog, hatte ich auch nie das Bedürfnis danach. Hätte ich ein Haustier, wäre es wahrscheinlich aus lauter Einsamkeit sofort wieder ausgezogen, und regelmäßige Fütterungszeiten hätte ich auch unmöglich einhalten können. Ich war ja kaum daheim. Meine Arbeit und der Sport standen für mich einfach an oberster Stelle.
Julian hatte es da, wie er mir erzählte, mit seiner Arbeit leichter. Erstaunlicherweise konnte ich seine Liebe zu dem Tier nachempfinden, und, als er von Neele schwärmte, sah ich uns plötzlich verliebt und Hand in Hand im Park spazieren, während die Hündin voller Elan durchs Gras jagte. Irritiert darüber, in welche Richtung sich meine Gedanken bewegten, schüttelte ich den Kopf und schob mir den letzten Bissen des gebratenen Saiblingfilets mit Spargelrisotto in den Mund.
„Was ist? Weswegen schüttelst du den Kopf?“
Verdammt, er hatte das doch tatsächlich mitbekommen! Wie peinlich. Ich konnte ihm doch davon nichts erzählen. Was würde er davon halten?
„Nichts, ich … ich dachte nur gerade an uns und Neele im Park.“ Die romantischen Details dazu verschwieg ich. Keine Ahnung, ob ich vielleicht doch zu viel verraten hatte, oder ob Julian ohne mein Wissen in meinen Kopf vordringen konnte, aber sein weiches Lächeln, das kleine Fältchen um seine Augen zog, ließ einen kleinen Schmetterlingsschwarm in mir aufflattern.
Tatsache war: Ich fühlte mich in Julians Gegenwart immer wohler. Das alte Misstrauen rutschte mehr und mehr in den Hintergrund, und ich lernte eine Seite an ihm kennen, die mir unter die Haut ging und – auch wenn ich es eigentlich nicht wahrhaben wollte – mein Herz berührte.
Er legte sein Besteck auf den Teller, das letzte Stück seines wirklich lecker aussehenden Steaks mit frischem Spargel war kurz zuvor in seinem Mund verschwunden. Langsam kam seine Hand verdächtig nahe auf meine zu, die locker auf dem Tisch lag – bis sich unsere Fingerspitzen berührten. Die elektrischen Schwingungen, die durch die leichte Berührung entstanden, verteilten sich von dort ausgehend über meinen ganzen Körper. Ich konnte nicht anders, ich strahlte ihn an, und er sah mir tief in die Augen, als er leise zu sprechen begann.
„Jana, ich …“
Er fixierte meinen Mund und biss sich auf die Unterlippe. Langsam glitten unsere Finger ineinander, und mein Herzschlag … der hatte sich mittlerweile wohl verdoppelt. Wieder bemerkte ich seine Unsicherheit, die mich einmal mehr verwunderte. Er verstärkte zärtlich den Druck, als unsere Hände miteinander verschränkt waren. Sein Blick wirkte verträumt, sehnsüchtig, als er sich über seine Lippen leckte, als wolle er sie aufwärmen für weitere Zärtlichkeiten.
Die Spannung zwischen uns wurde greifbar. Dass unsere Teller abserviert wurden, bemerkte ich kaum.
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