Auf Umwegen ins Herz
Cola dazu wäre der Hammer.“
Knapp fünf Minuten später saßen wir uns am Esstisch gegenüber, und vergnügt sah ich ihm zu, wie er die Lasagne hineinschaufelte. Würde ihn meine Mutter jetzt sehen, sie hätte ihn auf der Stelle in ihr Herz geschlossen – egal, was in der Vergangenheit vorgefallen war. Neele schlabberte gierig Wasser aus meiner Müslischüssel.
„Du hast recht, sie schmeckt fantastisch. Sag deiner Mama vielen Dank von mir, sie hat mich vorm Verhungern gerettet.“ Er zwinkerte mir zu.
Ich musste kichern. „Also ich hätte dir auch etwas kochen können, es hätte dann aber länger gedauert. Mom wäre jedenfalls begeistert von deinem Appetit.“
„Wie geht es ihr eigentlich?“
Julian sah mich interessiert an und wartete auf eine Antwort. Während ich Neele, die müde vor mir saß, streichelte, überlegte ich, ob Julian meine Mutter jemals gesehen hatte, als wir noch Teenager waren. Ich vermutete, dass er sie bei einem der wenigen Male gesehen haben musste, als sie mich vom ‚Boot‘ abholte, wenn sie früher Dienstschluss hatte.
„Ihr gehts gut … Sie ist seit vier Jahren glücklich verliebt – und seitdem blüht sie auf. Und seit ich mein eigenes Geld verdiene, geht es ihr natürlich auch finanziell besser. Weißt du, das war früher unser Hauptproblem. Sie hatte mehrere Jobs, damit wir zurechtkamen.“
„Deshalb warst du im ‚Boot’“?
„Genau. Und wie sieht’s bei deiner Familie aus?“ Ich wollte endlich etwas mehr über ihn erfahren. Ich hoffte nur, dass er mir diesmal nicht wieder auswich. „Bitte, erzähl es mir, Julian.“
Julian stocherte in den letzten Resten der Lasagne herum und zögerte, ehe er leise zu erzählen begann: „Meine Eltern kommen beide aus Arbeiterfamilien. Geld war bei uns nie viel da. Mein Vater arbeitete am Bau, war oft weg, im Ausland. Meine Mutter war regelmäßig arbeitslos. Von Putzen über Fließbandarbeit hatte sie alle schlecht bezahlten Jobs durch. Wahrscheinlich war es die finanzielle Situation, die meinem Vater so zu schaffen machte. Ich hab keine Ahnung, ich brachte es nicht übers Herz, meine Mutter zu fragen …“ Julian legte die Gabel beiseite und blickte auf seinen Teller, seine Stimme war nur noch ein leises Flüstern.
„Jedenfalls … ich war gerade mal vierzehn, Lena acht, als er vor einen Zug sprang. Er war auf der Stelle tot.“
Scharf zog ich die Luft ein und hielt mir die Hand vor den Mund. Ich war total geschockt! Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. „Oh Gott, Julian, das … tut mir so leid!“
Er räusperte sich, sprach dann mit belegter Stimme weiter. „Er war auf dem Heimweg mit zwei Kollegen. Sie gingen in eine Bar, wo sie einige Stunden zusammen tranken. Dann ließen ihn seine ‚Freunde‘ dort alleine zurück.“
Julian atmete tief aus und stützte den Kopf in seine Hände. „Er muss wohl einen Umweg über die Bahnstrecke genommen haben. Wie er dort hinkam, ist bis heute unbekannt. Kurz nach Mitternacht tauchte die Polizei bei uns zu Hause auf. Meine Mutter brach zusammen, war tagelang nicht ansprechbar. Lena und ich kamen für einige Tage zu unseren Großeltern, und unsere Mom … in psychologische Betreuung.“
Er machte eine kurze Pause, wahrscheinlich, um sich zu sammeln. Dann nahm er einen großen Schluck von seiner Cola, während ich völlig schockiert die Geschichte erst einmal verdauen musste.
In meinen Augen standen die Tränen, als er weitersprach: „Und danach wurde ich zu dem Julian, den du leider kennengelernt hast, Jana. Meinen Vater zu verlieren … ihn so zu verlieren … Du kannst dir das nicht vorstellen, wie weh das getan hat. Der Schmerz war so unvorstellbar groß …“ Er griff sich an seine Brust, und ich konnte den Druck auf seinem Herzen förmlich spüren.
„Ich wollte ihn aber nicht zulassen … nicht zeigen. Und darüber reden konnte ich auch nicht. Also baute ich eine Mauer um mich auf. Nach außen hin spielte ich den Starken, den großen Macker. Ich wurde zum Arschloch, um den Tag zu überstehen. Ich war überzeugt, würde ich nur eine Minute Schwäche zulassen, dann wär es vorbei und ich würde zusammenbrechen.“
Als wäre Julian durch seine Erzählung am Ende der Kräfte angelangt, vergrub er sein Gesicht in beide Hände. Oh mein Gott, Julian tat mir so leid. Hätte ich das damals nur gewusst, vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Was sollte ich jetzt tun, wie reagieren? Ich wusste nicht, wie ich mit seinem Geständnis umgehen sollte. Es wirkte auf
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