Auf Umwegen ins Herz
hatte. Zumindest war das ihre Sicht der Dinge. Na gut, sie hatte ja auch nicht ganz unrecht damit. Doch jetzt, wo ich seine Version der Geschichte kannte, sah ich das Geschehen aus einem anderen Blickwinkel. Sobald ich wissen sollte, wo mich die Reise mit Julian hinführen würde, konnte ich es ihr ja immer noch schonend berichten.
„Ich freue mich einfach für euch beide. Ihr wirkt verliebt wie am ersten Tag!“ Und das war ja nicht einmal gelogen. Sie schienen es zu schlucken, denn sie lächelten sich wieder mit diesem vielsagenden und doch so geheimnisvollen Blick an, und ich war äußerst dankbar, dass ich die Aufmerksamkeit somit geschickt von mir gelenkt hatte.
Ein Piepsen durchbrach das eben entstandene Schweigen. Ich stand auf, um mein Smartphone zu holen. Somit musste ich wenigstens nicht länger stiller Beobachter des Liebesgeplänkels sein. Auch wenn es schön war, die beiden so glücklich zu sehen – wenn ich nur danebensitzen konnte und nicht einmal die Chance hatte, Julian an meiner Seite zu wissen, kam in mir das hässliche Gefühl von Neid hoch. Und das hatte ja nun wirklich nichts hier zu suchen.
Ich löste die Tastensperre und sah, dass mir jemand eine SMS geschickt hatte. Wahrscheinlich Isa, die mich doch noch zu einer Discorunde überreden wollte. Oder sie würde mir sagen, ich hätte meine Trainingshose wieder einmal unabsichtlich in ihre Sporttasche gepackt. Wäre ja nicht das erste Mal.
Doch es war Julian, und ich konnte gar nicht fassen, dass er sich bei mir meldete. Ich hatte nicht einmal damit gerechnet, dass er sein Telefon mit in die Berge nehmen würde. Geschweige denn, dass dort überhaupt Handyempfang existierte.
Es ist zwar unglaublich schön hier oben, aber du fehlst mir! Das nächste Mal nehm ich dich mit, erst dann ist der Ausblick perfekt. ;-)
Mein Herz tanzte Samba, und ich befürchtete, für heute mein Grinsen wohl nicht mehr abstellen zu können. Grundsätzlich schlecht für mich, da ich keine Ahnung hatte, wie ich meine Mom erneut vom Thema ablenken sollte. Doch eigentlich war mir das im Moment sogar egal. Julians Worte hatten mich gerade total vom Hocker gehauen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass jemals ein Mann so etwas … Liebevolles zu mir gesagt hatte. Solche Sätze hatte ich bis jetzt nur in Filmen gehört und immer gedacht, dass auch diese Männer eine Erfindung der Filmindustrie sein mussten. Denn bisher war ich noch nie einem begegnet, der so romantisch sein und mit zwei Sätzen so viel Gefühl vermitteln konnte.
Ich wusste von niemandem, der jemanden kannte, der so war. Gut, Martin war wohl ein besonders herzensguter, liebenswürdiger Mann, aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, so etwas aus seinem Mund zu hören.
Schnell tippte ich Julian eine Antwort, mit dem beschämenden Gefühl, nicht annähernd das gesagt zu haben, was in mir loderte.
Jana Sommer:
Ich wäre wirklich gerne bei Dir. Pass auf Dich auf! :-*
Zurück im Esszimmer lauschte ich den Erzählungen über Martins letzten Betriebsausflug in einen Hochseilpark und musste Tränen lachen bei der äußerst bildlichen Erläuterung, wie er oben auf dem Podest stand und sich weder vor noch zurück traute, da ihm erst sieben Meter über dem Boden seine Höhenangst wieder eingefallen war.
Als ich abends in meine Wohnung kam, warf ich zuerst meine Trainingssachen in die Waschmaschine. Ich drehte das Radio auf und las noch einmal Julians Worte. Sofort hatte ich wieder dieses wahrscheinlich äußerst dämliche Grinsen auf meinen Lippen. Ich konnte nicht anders und schaltete meinen Computer ein, der auf dem Wohnzimmertisch stand. Ich vermisste ihn so.
Wie ein schmachtender Teenager saß ich vor dem Bildschirm und blätterte unaufhörlich durch Julians Fotoalbum. Ich suchte in seinen Gesichtszügen nach Ähnlichkeiten mit meinen Jugenderinnerungen beziehungsweise mit dem Foto, das ich von ihm hatte. Ich verglich die Bilder miteinander. Doch es war unglaublich, wie anders er heute wirkte.
Natürlich lagen viele Jahre dazwischen und gerade die, in denen sich ein Mensch sehr stark verändert. Ich musste den Kuss vom Teenager Julian mit dem von gestern vergleichen. Er war schüchtern gewesen als Junge, auch wenn er mit seiner Machomaske versucht hatte, es sich nicht anmerken zu lassen. Gestern hingegen war mir sehr wohl aufgefallen, dass Julian genau wusste, was er tat. Ich trank einen großen Schluck meiner Cola und lehnte mich zurück, während ich weitergrübelte.
Mir fiel wieder
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