Auf Umwegen ins Herz
um, hielt die Tür auf und kam mit seinem Gesicht unangenehm nahe an meines.
„Danke für alles“, hauchte er mir ins Ohr und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich versteifte mich, stand in der Tür, unfähig, mich zu bewegen, da ich mit so einer Verabschiedung nicht gerechnet hatte. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand in Richtung Aufzug. Einen Moment stand ich noch verwirrt und bewegungslos in der Tür, dann schloss ich sie, ohne ihm nachzusehen.
Die Pizza warf ich in den Müll. Die Toilette reinigte ich so gründlich, wie überhaupt noch nie. Die Keramikschüssel war wahrscheinlich nicht einmal direkt nach dem Einbau so sauber gewesen wie jetzt. Ich wusch meine Hände und mein Gesicht – zweimal, mit Seife. Der Ekel verschwand nicht, also duschte ich ausgiebig, ließ das heiße Wasser auf meinen Kopf prasseln, bis ich mich wieder einigermaßen wohlfühlte.
Dann legte ich mich auf die Couch, schaltete den Fernseher ein und ließ mich berieseln, um mich abzulenken. Auf das Buch hatte ich keine Lust mehr.
Die Wohnungstür hatte ich jetzt doppelt verriegelt.
Kapitel 14
Single?
Zwei Tage waren vergangen, an denen ich nichts von Julian gehört hatte. Zwei verdammte Tage! Zuerst war ich voller Sorge – vielleicht war ihm ja etwas zugestoßen? Sein Telefon war ausgeschaltet, als ich ihn gegen einundzwanzig Uhr angerufen hatte, um zu erfahren, ob und wann er noch bei mir vorbeischauen wollte. Gegen Mitternacht gab ich jedoch das Warten auf und ging dann doch ins Bett, nachdem er kurz auf Facebook online gewesen war. Er lebte, ihm ging es also gut. Wobei „gut“ ein dehnbarer Begriff war.
Ich wusste nicht, wieso er sich nicht mehr meldete, wieso er auf meine Anrufe und Nachrichten nicht reagierte. Inzwischen hatte ich ihn zweimal angerufen und ihm drei SMS geschrieben – keine Rückmeldung. Ich wollte nicht wie die übertrieben hysterische, anhängliche Freundin wirken. Doch durch die Ungewissheit wurde mein ungutes Gefühl in der Magengegend nicht weniger.
Ich las unseren Nachrichtenverlauf wieder und wieder. Die SMS, die kurze Unterhaltung online. Nichts deutete auf sein jetzt so unverständliches Verhalten hin. Kurz dachte ich an Georg. Immerhin hatte er den Account seiner Frau gehackt. Vielleicht hatte er dasselbe bei dem von Julian gemacht, und ich hatte ihn deshalb online gesehen? Vielleicht hatte er ihm etwas angetan? Doch schnell schob ich den Gedanken wieder beiseite.
Georg konnte nicht wissen, wo sich Julian aufhielt, geschweige denn, wo er wohnte. Andererseits, in der heutigen Zeit ließ sich ein Handy über GPS orten – wie weit war dann der Sprung zum Herausfinden der Wohnadresse? Mal ganz davon abgesehen, dass diese höchst wahrscheinlich im örtlichen Telefonbuch stand ...! Traute ich Georg das zu? Ich war mir nicht sicher, war total verunsichert. Vielleicht steigerte ich mich einfach zu viel in etwas hinein, doch mir fiel kein anderer Grund ein, wieso Julian so plötzlich seine Meinung ändern sollte und mich fallen ließ …?
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, die Warnung meiner Mom erklang in meinen Ohren und das alte Verletztsein und das Misstrauen gegen Julian kochten wieder hoch. In meinen Ohren begann das Blut zu rauschen, und durch wildes Kopfschütteln versuchte ich, den Gedanken wieder abzuschütteln.
„Alles in Ordnung bei dir?“ Isa joggte neben mir auf dem Laufband und sah besorgt zu mir herüber.
„Ich weiß nicht … Ich denke nicht.“
Die Tränen kämpften um den Ausbruch, ich rang dagegen. Ich musste runter vom Laufband, musste mich setzen. Ich war mir nicht sicher, wie lange mich meine Beine tragen würden. Der Schock saß so tief, dass mir plötzlich eiskalt war – und das, obwohl ich bereits gute zwanzig Minuten Dauerlauf hinter mir hatte. Am Rande nahm ich wahr, dass Isa unsere Handtücher sowie die Sportflaschen schnappte und mir hinterherlief.
Bei der Sitzecke hielt ich an und ließ mich in den weichen Stoff fallen. Meinen Kopf in die Hände gestützt und, noch heftig atmend vom Sport und vielleicht auch von meiner schrecklichen Erleuchtung, kämpfte ich gegen die aufkommende Übelkeit.
„Jana? Hey, was hast du?“ Meine Freundin hatte neben mir Platz genommen und streichelte mir über meinen Rücken, während sie versuchte, Blickkontakt mit mir aufzunehmen und mein Verhalten zu verstehen.
Nach ein paar Minuten hatte ich mich so weit beruhigt, dass ich mir sicher war, ich würde mich nicht übergeben, sobald ich zu sprechen
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