Auf und ab - Mord in Hellwege
beruflich und privat, und trotzdem war ihm im Grunde nie der tiefere Sinn dieses öffentlichen Rituals klar geworden; diejenigen, für die der Verstorbene eine große Bedeutung gehabt hatte oder die ihm nahe gewesen waren, hatten, jeder auf seine Weise, sicherlich bereits längst Abschied genommen. Sie würden den Menschen in Erinnerung behalten und nicht die Beerdigung. Die anderen kamen, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen, aber das bemerkte der Verblichene ganz sicher nicht mehr.
Holten mochte keine Beerdigungen, aber er durfte nicht fehlen, weil er Nachbar war, weil seine Frau es ihm empfohlen hatte und weil er diesmal auch ein kriminalistisches Interesse daran hatte.
Auch bei dieser Trauerfeier war die Friedhofskapelle wieder gut gefüllt. Elke, die beiden Söhne, Wilhelm Lehmbergs Vater und seine Schwiegereltern saßen in der ersten Reihe, dahinter die übrigen Verwandten, dann die Nachbarn, die Gemeindevertreter, Abordnungen der verschiedenen Vereine, Geschäftsfreunde und -partner und schließlich Mitfühlende und Neugierige aus dem Ort. Holten hatte sich nicht zu den anderen Nachbarn gesetzt. Seine Frau und er fanden einen Platz in der letzten Reihe, von wo er einen guten Überblick hatte. Er musterte alle Anwesenden und fragte sich bei diesem oder jenem, was ihn zu dieser Trauerfeier geführt hatte. Er wusste nichts über die geschäftlichen Verbindungen des Verstorbenen, doch die Beziehungen im Dorf waren für ihn durchaus interessant. Außer den bei fast jeder Bestattung anwesenden Mitfühlenden und Neugierigen fiel ihm nur einer aus Hellwege auf: Frank Mullemann, ein junger Mann aus dem Ort, Kfz-Mechaniker in der Nachbargemeinde Sottrum und aktives Mitglied im örtlichen Fußballteam. Das war alles, was Holten über ihn wusste – und dass Bernd Kasing ihm am Mordtag kurz vor dem Auffinden der Leiche begegnet war. Holten kannte ihn flüchtig, weil sie sich auf dem Fußballplatz begegnet waren.
Was trieb den denn hierher?
Der Pastor wickelte den Trauergottesdienst routiniert mitfühlend ab, und Holten war schließlich froh, dass es nicht regnete, als sie den Sarg draußen auf dem Friedhof in die Erde senkten. Eine Trauergemeinde in strömendem Regen war nur etwas für einen Film.
Nach dem nicht sehr ergreifenden Ritual in der Kapelle und auf dem Friedhof trafen sich fast alle Teilnehmer in »Beckmanns Gasthof«, um › das Fell zu versaufen ‹ , wie man es hier auf dem Lande nannte. Wie es sich gehörte, hatten die Hinterbliebenen eingeladen. Auf den Tischen im Clubzimmer standen nett angerichtete Teller mit belegten Broten und Butterkuchen. Man konnte natürlich Kaffee trinken, doch die meisten Gäste stärkten sich auch gerne mit Bier und Weinbrand. Indem er sich durch Gespräche mit Bekannten aufhalten ließ, hatte Holten es so eingerichtet, dass Susanne und er sich erst setzten, als auch Frank Mullemann sich hingesetzt hatte, sodass er neben ihm Platz nehmen konnte. Nachdem sie sich begrüßt hatten, begann Frank sofort das Gespräch:
»Sie sind doch der pensionierte Polizist, der Wilhelm gefunden hat. Wissen Sie schon, wer es war?«
› Der macht keine langen Umschweife ‹ , dachte Holten und antwortete:
»Wie Sie schon sagten, ich bin der pensionierte Polizist. Trotzdem habe ich erstens Wilhelm nicht gefunden, zweitens bearbeite ich den Fall nicht, und drittens weiß ich nicht, wer es war. Aber warum interessiert Sie das?«
› Dumme Frage ‹ , schalt er sich selbst und bekam auch gleich die passende Antwort.
»Na, das interessiert doch jeden«, antwortete der junge Mann.
»Warum sind Sie hier?«, fragte Holten. Auch er hatte sich angewöhnt, nicht lange um den heißen Brei herumzureden.
»Sind Sie ein Verwandter?«
»Nein, das bin ich nicht, aber er war nett zu mir, als ich ihn nach der Fliegerei fragte, und er hat mich mal eingeladen, um mir alles davon zu erzählen, was ich wissen wollte. Ich möchte nämlich den Pilotenschein machen, hier am Platz, wissen Sie. Das ist noch gar nicht so lange her. Es war ein toller Sonntagabend, meine Freundin und seine Frau waren auch mit dabei. Und er wollte mich auch mal mitnehmen, wenn sich die Gelegenheit ergeben hätte. Aber leider ist ja nichts daraus geworden. Und an diesem besagten Tag war es leider zu spät, er war ja schon auf dem Rückweg vom Flugplatz.
Er war einfach großartig, und das wollte ich seiner Frau zu verstehen geben.«
Er sah niedergeschlagen aus. Aber plötzlich hellte sich sein Gesichtsausdruck wieder auf.
»Ach
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