Auf und davon
weit laufen konnte. An einer Ecke des Platzes war eine Telefonzelle.
Der Platz schien leer zu sein, im Gegensatz zu der Straße mit den Cafés, wo
sich die Leute drängten. Jedenfalls sah Nathan niemanden. Völlig fertig
stolperte er in die Telefonzelle, kauerte sich auf den Boden und hoffte, daß
niemand telefonieren wollte.
Nathan wußte nicht, wie lang er so
zusammengerollt in der Telefonzelle lag. Er sah und hörte nicht, was draußen
vor sich ging. War die Polizei auf dem Platz? Würden sie in der Telefonzelle
nach ihm suchen?
Die Zeit verging, und mit jeder Minute
fühlte sich Nathan ein wenig sicherer, doch er ging kein Risiko ein. Er kam
noch nicht heraus.
Er dachte an Julia, die sich bestimmt
wunderte, warum er für die Einkäufe so lang brauchte. Ihm fiel ein, daß er die
Mütze für sich noch nicht gekauft hatte. Wo würde er jetzt noch eine solche
Mütze bekommen? An der Strandpromenade gab es jede Menge Geschäfte, und dieser
Platz hier mußte in der Nähe der Promenade liegen, weil er die ganze Zeit
bergab gelaufen war. Aber auf der Promenade durfte er sich nicht sehen lassen.
Da lungerten dicke Jungen und Väter und bestimmt auch noch andere naseweise
Typen rum, die mit dem Finger auf ihn zeigten und sagten: „Das ist Nathan
Browne, der Junge, der von zu Hause weggelaufen ist. Haltet ihn!“
Nach einer Weile begann es wieder zu
regnen, erst nur ein paar Tropfen, dann immer heftiger. Nathan hatte schon so
lang zusammengekauert dagesessen, daß ihm alles weh tat. Jetzt konnte er sich
doch bestimmt herauswagen. Bei diesem Wetter war gewiß nicht einmal mehr ein
Polizist auf der Straße.
Vorsichtig hob er einen Arm, drückte
die Tür der Telefonzelle auf und kroch hinaus. Seine Beine waren eingeschlafen.
Er rieb sie, während der Regen auf ihn herunterprasselte. Nach einer Minute war
er völlig durchnäßt, aber das kümmerte ihn nicht. Der Regen war ein Grund, die
Kapuze seines Anoraks über den Kopf zu ziehen, damit man von seinem Haar nichts
mehr sah. Vom Gesicht sah man ohnehin fast nichts. Er war nur noch ein Junge,
der die Straße entlanglief, um aus dem Regen zu kommen. So geschützt hielt
Nathan es sogar für unbedenklich, zur Strandpromenade zu gehen.
Die Geschäfte dort waren voll von Urlaubern,
die Schutz vor dem schlechten Wetter suchten. Nathan drängte sich durch, fand
die Mützen und nahm eine, irgendeine. Als er der Dame an der Kasse sein Geld
hinstreckte, stieß ihm die Frau neben ihm fast den Ellenbogen ins Auge.
„Ich war zuerst da“, behauptete sie und
wedelte mit einem Geldschein herum.
„Nein ich“, widersprach Nathan.
Erst da erkannte er zu seinem
Entsetzen, wen er neben sich hatte. Es war die dicke Frau, die Frau des dicken
Mannes und Mutter des dicken Babys!
Wieder rannte Nathan los. Mit der Mütze
und der Plastiktüte in der einen, dem Geld für die Mütze in der anderen Hand
drängelte er sich durch die vielen nassen Regenmäntel zum Ausgang.
„He, du hast noch nicht bezahlt!“
„Stuart! Stuart, es ist wieder der
Junge!“
„Ein Dieb! Haltet ihn!“
Die Rufe umschwirrten ihn, doch die
allgemeine Verwirrung war so groß, daß Nathan aus dem Geschäft war, bevor ihn
jemand zu fassen bekam. Zwei oder drei Urlauber verfolgten ihn, weil sie sonst
nichts anderes zu tun hatten. An der ersten Ecke der Promenade rannte Nathan
zum Strand, das heißt, er kullerte über den Kies den steilen Abhang hinunter.
Die losgetretenen Kieselsteine begruben ihn halb unter sich. Er stemmte den Fuß
in die Steine, um nicht weiter zu rutschen, und äugte vorsichtig zur Promenade
hinauf. Seine Verfolger keuchten oben vorbei, und Nathan drückte den Kopf tief
auf die glatten Kiesel. Er rang nach Atem.
Er hatte die Mütze nicht stehlen
wollen. Er war kein Dieb, bestimmt nicht! Aber jetzt konnte er auch nicht mehr
zurück und sie bezahlen. Im Schutz des Kiesabhangs ging Nathan am Strand
zurück, kletterte dann zum Steg rauf und von dort zur Promenade mit den vielen
Leuten und dem starken Verkehr. Er zog die Kapuze seines Anoraks tiefer über
den Kopf, obwohl es nicht mehr regnete. Auf Umwegen ging er zu Mrs. Parsons
zurück, wobei er immer wieder in kleine Gäßchen einbog und von einer
Straßenseite zur anderen wechselte, für den Fall, daß ihm jemand folgte.
Als er bei Mrs. Parsons eintraf, war es
später Nachmittag. Julia war halb hysterisch vor Angst. „Ich hab gedacht, sie
hätten dich geschnappt! Ich hab gedacht, sie hätten dich geschnappt!“ jammerte
sie in einem fort.
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