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Auf und davon

Auf und davon

Titel: Auf und davon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Thomas
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Schluchzer kamen.
    „Was ist denn?“ Julia war zutiefst
beunruhigt. „Wo ist das Essen? Hast du nichts mitgebracht?“
    Nathan schüttelte den Kopf. Sein ganzes
Elend floß aus ihm heraus.
    „Nathan! Hör doch auf! Wo ist dein
Anorak?“
    Nathan legte sich auf den Boden und
weinte.
    „Du hast ihn verloren!“
    Nathan leugnete die schreckliche
Wahrheit nicht ab. „Verloren! Du hast deinen Anorak verloren! Dein ganzes Geld!“
    „Tut mit leid, tut mir leid, tut mir
leid, tut mir leid —“
    „Oh, halt den Mund!“
    „Was?“
    „Du sollst aufhören zu sagen, daß es
dir leid tut. Es ist nicht so schlimm, du kannst die Hälfte von meinem Geld
haben.“
    „Was?“
    „Du hast es doch gehört. Du kannst die
Hälfte von meinem Geld haben. Ich hole es.“
    Sie drehte sich um und wollte weggehen,
doch Nathan hielt sie zurück. „Warte.“
    „Willst du es nicht?“
    Nathan bestand aus einem einzigen
Wirrwarr von Gefühlen, die er nicht erklären und nicht ausdrücken konnte.
Scham, Dankbarkeit, Zuneigung — alles vermischte und drehte sich in ihm. „Heb
du es für mich auf, Jule“, sagte er leise.
    Es war der einzige in Worte gefaßte
Dank, den sie erhielt, doch sie wußte, wie er gemeint war.
     
    Der große Mann hatte seinen Wagen
genommen und war direkt zur Polizeistation nach Minehead gefahren.
    „Das ganze Geld war im Futter“, sagte
er und übergab dem Polizisten den Anorak und das Bündel Geldscheine. „Der Junge
ist mit seinem Fahrrad davongefahren. Ich hätte ihn nicht gekriegt.“
    „Und Sie sagen, das Geld stammt nicht
von Ihnen, Sir?“
    „Nein, soviel würde ich nie im Boot lassen.“
    „Er muß schreckliche Angst gehabt
haben, daß er sein ganzes Geld in Ihrem Boot zurückgelassen hat.“
    „Ich hab ihn nicht bedroht“, verteidigte
sich der große Mann.
    „Natürlich nicht“, sagte der Polizist. „Was
ich sagen wollte — es sieht so aus, als habe der Junge sich das Geld
unrechtmäßig angeeignet, wo auch immer.“
    Während er sprach, untersuchte er den
Anorak. Der Name auf dem eingenähten Schildchen am Nacken war so verblaßt, daß
man ihn kaum noch lesen konnte. Der Polizist hielt ihn näher ans Licht. „Es
sieht wie ein N aus und dann sowas wie BOURNE. Nein, BROWNE. Moment mal! Meine
Güte, er ist es! NATHAN BROWNE! Wir sind Ihnen sehr dankbar, Sir, daß Sie uns
den Anorak gebracht haben. Es sieht so aus, als hätten sie uns geholfen, eines
dieser Kinder aus London zu finden, die jetzt schon seit fast einem Monat
vermißt werden. Wo er mit seinem Rad hingefahren ist, haben Sie nicht gesehen?“
    Der Mann zuckte mit den Schultern. „Zurück
nach Porlock, mehr kann ich nicht sagen.“
    „Gut. Wir schicken sofort einen Wagen
dorthin. Entschuldigen Sie mich bitte.“
    In Porlock fanden sich eine Menge
Leute, die sich bei den eindringlichen Fragen der Polizei daran erinnerten,
einen kleinen schwarzen Jungen gesehen zu haben, der mit seinem mit
Campingausrüstung beladenen Fahrrad Richtung Moor fuhr. Zweimal sei er allein
gewesen, erfuhr die Polizei, doch beim erstenmal sei ein größeres Mädchen bei
ihm gewesen. Ein weißes Mädchen, es kann auch ein Junge gewesen sein. So genau
konnte man das heutzutage ja nicht mehr sagen, wo es doch keinen Unterschied
mehr in der Kleidung gab...

 
    17.
     

Gejagt
     
     
     
    Am nächsten Morgen wollte Nathan noch
einmal nach Porlock. Julia hatte Angst, der Mann von dem Boot könne Nathan
sehen, aber Nathan erklärte, das Boot läge in Porlock Weir und nicht in der
Stadt Porlock, und er glaube nicht, daß eine große Gefahr bestünde.
    Er machte sich wegen etwas anderem
Sorgen. Wenn der Mann vom Boot das Geld im Futter des Anoraks entdeckt und es
zur Polizei gebracht hatte... Wenn er den Anorak mit seinem Namensschild darin
zur Polizei gebracht hatte... Aber es war doch wohl wahrscheinlicher, daß der
Mann das Geld für sich behielt, so daß er, Nathan, nichts zu befürchten hatte.
    Julia begleitete Nathan bis zur Straße,
und weil es ein so schöner Morgen war, dachte sie, sie könnte eigentlich ein
Stück mitfahren. „Laß mich auf dem Gepäckträger mitfahren, Nathan“, bat sie. „Nur
das Stück bis zum Abzweig. Ich lauf dann zurück, kein Problem.“
    Und so wackelten sie zu zweit auf dem
Fahrrad auf die große Straße zu.
    „Das ist gut, Jule, was?“ Nathan begann
sich wieder wohl zu fühlen.
    „Halt!“ rief Julia plötzlich alarmiert.
    Nathan hielt an, und Julia stemmte die
Füße auf den Boden. „Was ist los?“ fragte

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