Auf vier Pfoten zur Millionenbeute
Spätabends dann wollte sie ihren Freund in Hamburg anrufen. Gotthelf war am Montag aus dem Gefängnis entlassen worden. Nächste Woche wollte er sie besuchen. Er passte zu ihr, maà 2,05 Meter â barfuà â und wog fast drei Zentner.
Ob er sie noch mochte? Ãber ein Jahr war sie ihm treu geblieben.
Trotz ihrer AusmaÃe hielt er sie für hübsch. Sie besaà das rosig-dralle Gesicht einer Jungbäuerin, braune Kuhaugen und ein gemütliches Doppelkinn. Mit langen Haaren hätte sie weiblicher gewirkt. Aber sie bevorzugte Streichholzlänge. Das war praktischer beim Training.
Nachdem sie die Steaks vertilgt und vier Flaschen Bier geleert hatte, überprüfte sie ihre Finanzen.
Erstaunt stellte sie fest: Im Portmonee war nichts mehr, in der Brieftasche auch nicht und in der Zuckerdose lagen nur ein paar Münzen. Ein Bankkonto hatte sie nicht. Trotzdem unterhielt sie gelegentlich Kontakte zu Geldinstituten â allerdings von anderer Art. Wenn Gotthelf mich besucht, dachte sie, muss ich bei Kasse sein. Na schön! Mache ich morgen einen kleinen Banküberfall.
Auf dem Tisch breitete sie den Stadtplan der GroÃstadt aus. Sämtliche Geldinstitute waren eingezeichnet: mit blauem Filzschreiber. Sie hatte etliche blaue Punkte rot umrandet. Das waren die Banken, denen sie bereits Besuche abgestattet hatte â mit der Pistole in der Hand.
Da wollen wir doch mal sehen, dachte sie, wo wir noch nicht gewesen sind.
*
Freitag, 13.30 Uhr. Der Ludwigsplatz dampfte. Es schüttete wie aus Kübeln. Warmer Sommerregen fiel auf heiÃen Asphalt. Die Vormittagssonne hatte ihn aufgeheizt. Jetzt kam der Wolkenbruch.
Das störte KlöÃchen wenig. Er saà im Eis-Café Frostkugel, hatte einen Fensterplatz und löffelte alles, was schokoladig aussah, in sich hinein. Wenn er das Gesicht aus dem Gigant-Becher hob und den Blick etwas nach links schwenkte, sah er die Laxati-Apotheke. Ohne den Blick zu schwenken, sah er die Bleite-Bank.
Karl stand in einer überdachten Toreinfahrt, also trocken, und bewachte vier Drahtesel. Er trug seinen Regenponcho. Wegen der schwülen Hitze beschlug dauernd seine Brille, deshalb sah er die Apotheke nicht ganz so deutlich. Um die Bleite-Bank zu beäugen, hätte er sich vorbeugen müssen. Aber das kam ihm nicht in den Sinn.
Tim und Gaby bevölkerten das Schutzhäuschen der Bushaltestelle neben dem Kiosk. Drei Busse hatten bereits Halt gemacht, ohne dass die beiden einstiegen.
Tim legte seiner Freundin den Arm um die Schultern, sie ihren Kopf an sein Schlüsselbein. Aber dort tropfte seine Regenjacke. Das war wirklich zu nass und Gaby hielt den Kopf wieder aufrecht.
»Kurz nach 14 Uhr, hat er gesagt«, erklärte Tim zum wiederholten Male. »Also noch zehn Minuten â mindestens.«
»Ich bin so aufgeregt â als hätte ich Flöhe im Bauch. Vor einer Klassenarbeit ist es nur halb so schlimm.«
»Cool bleiben, Gaby!«
»Das mach mal vor bei der Schwüle.«
Von Lahmel und Eckberg hatten sie nichts gesehen. Die befanden sich bereits bei dem zitternden Apotheker und dessen Helferinnen. Auch der Streifenwagen lieà sich nicht blicken.
Punkt 14 Uhr öffnete die Bleite-Bank â genau gegenüber â ihr Portal.
Tim spähte umher. Wo blieb Wilkowskys Komplize? Wie sah er aus, der Typ mit der hellen Stimme?
*
Erich legte die geladene Pistole in die Damenhandtasche. Dann trat er vor den Spiegel und überprüfte zum letzten Mal seine Verkleidung. Perfekt!
Aus dem Spiegel lächelte ihn eine junge Dame an: blonde Locken, starkes Make-up, Kopftuch. Unter dem grünen Regenmantel eine fast grazile Gestalt.
Wie man auf halbhohen Absätzen läuft, hatte er stundenlang geübt. Er trug rostrote Sommerjeans â wegen seinerbehaarten Waden. Was im Gesicht fehlte â an den Beinen wuchs es.
Wohlgemut verlieà er seine Bude und holte den geklauten Kleinwagen aus der Garage. Eine halbe Nacht hatte er an der Zündung herumgebastelt. Mit einem Griff konnte er jetzt das Vehikel in Gang bringen.
Hätte den Clemens nochmal anrufen sollen, dachte er. Aber dann verwarf er das. Der Kumpel würde da sein â am Kronenpark-Eck.
Erich fuhr zum Ludwigsplatz und konnte parken â direkt vor der Bleite-Bank.
*
Erstaunlich wenig Verkehr!, dachte Tim. Na ja! Liegt am Sauwetter. Dieser Regen ist gefährlich für Nichtschwimmer.
Aus Gabys Goldmähne stieg Fliederduft.
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