Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
Problem!“
„Himmelherrgott noch mal, Isabel!“, platzte es aus Jane heraus. „Da läuft dir mal ein anständiger, großzügiger, vermögender Gentleman über den Weg und …“
„Attraktiv nicht zu vergessen“, warf Gwen ein.
„Gut. Also ein anständiger, großzügiger, vermögender und attraktiver Gentleman, der bereit ist, dir zu helfen – obwohl du alles versuchst, ihn davon abzubringen, wohlgemerkt –, und der noch dazu Interesse für unsere Situation aufzubringen scheint – eine Situation, die, wie ich bemerken möchte, sich trefflich durch das Interesse eines vermögenden Gentlemans verbessern ließe. St. John zu umwerben dürfte all unsere Probleme auf einen Schlag lösen!“
„Mal ganz davon abgesehen, dass dir kaum noch eine andere Wahl bleibt, Isabel“, sagte Kate. „Wenn du Minerva House halten willst, solltest du jetzt zuschlagen.“
Ungläubig schaute Isabel von ihrer Stallmeisterin zu der Butlerin. „Ich dachte, ihr würdet nichts auf dieses dumme Journal geben!“
„Das war auch so, bis wir erkannten, dass Lord Nicholas unsere letzte Chance zu sein scheint, ein Dach über dem Kopf zu haben“, sagte Jane nüchtern.
Isabel schüttelte den Kopf. „Er ist reich und kennt jeden, der in London Rang und Namen hat! Was, wenn er deinen Vater kennt, Kate? Oder den Mann, den du bestohlen hast, Jane?“
Kate winkte ab. „Ich halte es für höchst unwahrscheinlich, dass dein netter, attraktiver Lord meinen Unhold von Vater kennt. Und wenn alles sich so entwickelt, wie wir es hoffen, kann uns das sowieso herzlich egal sein.“
„Er ist nicht mein netter, attraktiver Lord.“
„Das sieht Gwen irgendwie anders“, neckte Kate sie, sehr zur Belustigung von Jane und Gwen.
Am liebsten hätte Isabel ihnen den Hals umgedreht. Warum konnten – wollten – sie den Ernst der Lage nicht begreifen? Minerva House war zu ihrem Wohl geschaffen worden. Ihretwegen hatte Isabel alles daran gesetzt, so wenig wie möglich über Lage und Bewohner des Hauses nach außen dringen zu lassen.
„Isabel“, meldete sich Kate wieder zu Wort. „Wir wissen, dass du einen Großteil deines Lebens darauf verwandt hast, uns Sicherheit zu geben. Und nicht nur das: Du hast uns Mut gemacht, hast uns Vertrauen in uns und in die Welt gegeben. Bitte versteh, dass wir deine Gefühle nicht missachten, aber auch dir sollte klar sein, dass ein einziger Mann, der …“
„Zwei Männer“, korrigierte Isabel.
„… dass zwei Männer Minerva House nicht zu Fall bringen können.“
„Dazu bedarf es bald keiner Hilfe mehr“, brummte sie.
„Wir lassen dich nicht im Stich“, versicherte ihr Kate.
„Doch, werdet ihr.“
Kate hörte es, ohne mit der Wimper zu zucken. „Für die anderen kann ich nicht sprechen, aber ich werde dich nicht im Stich lassen.“
Das waren offene, ehrliche Worte, und Isabel erwiderte schweigend Kates Blick. Kate war lange Zeit das Nesthäkchen von Minerva House gewesen. Gerade einmal vierzehn Jahre alt, war sie die Stufen zum Herrenhaus heraufgekommen, einen räudigen Hund an ihrer Seite, doch ihr Stolz ungebrochen. Mit trotzig gerecktem Kinn hatte sie vor der Tür gestanden, und Isabel hatte nicht einen Moment gezögert, sie bei sich aufzunehmen.
Fünf Jahre später war Kate aus Minerva House nicht mehr wegzudenken. Ihre Kraft gab den anderen Mut, ihre Arbeitsmoral setzte den anderen Maßstäbe. Auf keine war so sehr Verlass wie auf Kate, die immer noch denselben trotzigen Zug um den Mund hatte wie mit vierzehn. Kate würde für einen durchs Feuer gehen.
Isabel legte die Feder beiseite.
„Also“, meinte Kate. „Warum erzählst du uns nicht einfach, was du wirklich von Lord Nicholas hältst?“
Isabel senkte den Blick auf den zerschrammten Küchentisch, um den sich alle versammelt hatten. Mit dem Finger fuhr sie eine tiefe Kerbe nach, fragte sich zerstreut, wo die wohl hergekommen war, während sie krampfhaft überlegte, was sie auf Kates Frage antworten sollte.
Was hielt sie eigentlich von diesem Mann?
Wenn sie ehrlich war, so hatte er nichts getan, was ihr Misstrauen rechtfertigen würde.
Er hatte ihr zweimal das Leben gerettet – oh ja, sie wusste es sehr wohl, all ihren Beteuerungen zum Trotz –, hatte sich bereit erklärt, ihre Sammlung zu begutachten, hatte das Vertrauen ihres Bruders gewonnen und bot ihr seine Hilfe an, Minerva House zu retten.
Und er hatte sie geküsst.
Tatsächlich hatte er in nur drei Tagen mehr getan, sich ihr Vertrauen zu verdienen, als jeder
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