Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
Wir sind nicht Ihr Problem, Lord Nicholas. Tun Sie uns beiden den Gefallen.“ Wortlos zog sie ihre Hand zurück und räumte weiter auf. „Ich kann sehr gut selbst auf mich aufpassen. Das habe ich immer getan.“
Unendlicher Schmerz lag in diesen Worten.
„Ich habe nie etwas anderes behauptet.“
„Doch, haben Sie!“, fuhr sie ihn an. „Aber ich lebe schon seit Jahren hier und halte alles am Laufen. Und ich werde auch dann noch hier sein, wenn Sie längst wieder fort sind. Ich werde hierbleiben, samt undichtem Dach, einem Earl in Kinderschuhen und all dem anderen.“
Ihre Brust hob und senkte sich schwer, und er sagte das Erstbeste, das ihm in den Sinn kam. Worte, die einmal wieder die falschen waren. „Lassen Sie mich Ihnen helfen.“
Wütend sah sie ihn an. „Sie wollen mir helfen? Gut. Dann schätzen Sie die verdammte Sammlung.“
Damit wandte sie sich ab, die Fäuste geballt vor Zorn.
Was hatte es nur mit diesem Haus auf sich? Er war bislang noch mit jedem Gegner fertig geworden. Er hatte es mit Männern aufgenommen, die keine Skrupel kannten, mit Frauen, die kein Herz hatten, mit Schurken, die mehr Macht und Vermögen besaßen, als ein schlechter Mensch je haben sollte. Weshalb er nicht daran zweifelte, aus der Welt schaffen zu können, was immer Isabel bedrohte. Er konnte sie retten, gar keine Frage. Sie, das Anwesen, die Reputation ihres Bruders.
Aber er konnte sich nicht erklären, warum ihm dies so wichtig war.
Was war an dieser Frau, an diesem Haus, diesem Ort, das ihn nicht mehr loslassen wollte – wo er doch sein ganzes Leben bei der geringsten Andeutung von Beständigkeit, von Verantwortung, ja, der bloßen Aussicht, allzu lang an einem Ort zu bleiben, rasch das Weite gesucht hatte?
Er würde nicht fortgehen. Nicht, solange er nicht sicher war, dass ihnen hier kein Leid geschehen würde.
Jetzt musste er sie nur noch davon überzeugen, ihn das tun zu lassen, was er am besten konnte.
Ein guter Anfang wäre gewiss, wenn sie aufhörten, einander zu belügen.
Und so sagte er ihr die Wahrheit.
Zumindest einen Teil davon.
„Ich weiß über die Mädchen Bescheid, Isabel.“
11. KAPITEL
Vierte Lektion
Suchen Sie sich Verbündete.
Die Eroberung Ihres Gentleman kommt einem Feldzug gleich. Zum Sieg führen eine ausgeklügelte Strategie, erprobte Manöver und eine wohldurchdachte Auswahl an Verbündeten. Strategische Verbindungen sind vonnöten – ja, unabdingbar! –, um zum Erfolg zu gelangen. Ziehen Sie Freunde, Familienangehörige, Dienstboten und sonstige Personen in Betracht, die Ihnen bei der Zusammenführung behilflich sein könnten. Unterschätzen Sie nicht die Macht eines wohlwollenden Gastgebers oder einer aufmerksamen Gastgeberin. Ein wahrer Gentleman versteht jede noch so dezente Aufforderung zum Tanz, und von einem Walzer im Ballsaal zu einem Spaziergang im Garten ist es nur ein kleiner Schritt …
Und ist dies geschafft, lässt der Weg vom Garten zum Altar nicht mehr lange auf sich warten!
Perlen und Pelissen
Juni 1823
E ine seltsame Ruhe kam über sie, nun, da er das Geheimnis von Minerva House gelüftet hatte.
Sie hätte erwartet, in Panik zu geraten oder voller Entrüstung alles abzustreiten, als wäre nie etwas gewesen, als bilde er sich alles nur ein.
Doch stattdessen empfand sie Erleichterung. Nun erst merkte sie, wie leid sie es gewesen war, sich vor ihm zu verstecken, immerzu befürchten zu müssen, dass er irgendwann dahinterkäme. Ohnehin war es töricht gewesen zu glauben, dass sie die Wahrheit vor ihm würde verbergen können.
„Sie haben eine Butlerin, eine ganze Schar Dienerinnen und ein Stallmädchen.“
Isabel stand auf und zog sich die ruinierten Handschuhe aus. „Ich habe eine Stallmeisterin .“
„Ein Haus voller Frauen“, sagte er unbeeindruckt.
„Nicht ganz.“
„Wie viele Männer?“
Sie zögerte. „Einer …“
Kopfschüttelnd wandte er sich ab. Seine Narbe trat hell und deutlich hervor. Sie sah ihn die Hände hinter dem Kopf verschränken und zur Decke blicken. „Ihr Bruder.“
„Der Earl “, betonte sie.
„Der zehnjährige Earl.“
„Na und? Er ist trotzdem der Earl!“
„Und dennoch haben Sie niemanden, der Sie beschützen könnte!“ Dass er so heftig geworden war, überraschte Isabel. Sie wurde wütend. Alles machte sie wütend: dass er recht hatte, dass nichts war, wie es sein sollte, dass dieser Mann, den sie kaum drei Tage kannte, sich anmaßte zu glauben, sie müsse beschützt werden. Als könne sie nicht selbst
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