Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
ihr die Wahrheit würde sagen müssen. Er hatte es von Anfang an gewusst. Er würde seine Verbindung zu Leighton offenlegen und Isabel sagen müssen, dass er nach Georgiana suchte. Er würde sich ihrer Enttäuschung, ihrer Wut und ihren Fragen stellen müssen.
Aber insgeheim hatte er gehofft, sie heiraten und alles über die Bühne bringen zu können, ehe er ihr seine Unaufrichtigkeit gestand.
Ja, warum eigentlich nicht?
Die Versuchung war groß, sie für immer an sich zu binden und erst dann mit der Wahrheit herauszurücken.
Rock schien zu ahnen, was in ihm vorging. „Es wäre besser, du sagst es ihr bald, ehe sie es selbst herausfindet.“
„Ich weiß.“
Aber weder das eine noch das andere wollte ihm gefallen.
15. KAPITEL
A m nächsten Morgen traf Isabel Nick wieder im Skulpturensaal an, bei der Arbeit.
Gleich nach dem Frühstück war sie ihn suchen gegangen, denn der Anstand gebot vermutlich, ihn umgehend davon in Kenntnis zu setzen, dass die Straße wieder passierbar sei. Als sie ihn jedoch im strahlenden Sonnenlicht über seine Notizen gebeugt sah, empfand sie eine Erregung, die etwas andere Beweggründe für ihr Kommen vermuten ließen.
Rasch und entschlossen brachte er seine Gedanken zu Papier, und ganz kurz empfand sie leise Eifersucht, dass seine Arbeit ihn so ausschließlich beanspruchte. Sie sah, wie ihm eine dunkle Locke in die Stirn fiel und sich im Gestell seiner Brille verfing. Ihr stockte der Atem.
Er sah wirklich unglaublich gut aus.
Und sie benahm sich wirklich unglaublich töricht.
Der Gedanke war ernüchternd und holte sie rasch in die Wirklichkeit zurück. Mit einem diskreten Räuspern machte sie sich bemerkbar. Er sah auf, ließ seinen Blick auf ihr ruhen. Sie hielt die Hände vor sich verschränkt, um nicht wieder endlos ihre Röcke glatt zu streichen oder an ihrem Haar herumzufingern.
„Ich störe Sie nur ungern, aber ich wollte Ihnen kurz Bescheid sagen, dass Rock nach Dunscroft aufgebrochen ist, um Ihre Sachen zu holen. Es wäre uns eine Ehre, Sie hier willkommen zu heißen … als unsere Gäste … bis … so lange Sie wünschen“, stammelte sie.
Er nahm seine Brille ab, sehr zu Isabels Bedauern. Wenn er sie trug, sah man sogleich, welch kluger, aufrichtiger Mann sich hinter der schönen Fassade verbarg. Es war faszinierend.
Dann lächelte er so warm und herzlich, dass ihr die Knie ganz weich wurden. Ja, sie wusste schon, warum sie die Brille so sehr an ihm schätzte: Sie schuf Distanz.
„Das ist sehr großzügig von Ihnen, Isabel. Vielen Dank.“
Nun wusste sie nicht, was sie noch sagen sollte, und so stand sie ein wenig unschlüssig auf der Türschwelle.
Eine seiner Brauen hob sich in sichtlicher Belustigung. Er merkte, dass sie nervös war. Und amüsierte sich prächtig. „Möchten Sie nicht hereinkommen?“
Sie wagte einen zaghaften Schritt und war sich nur allzu bewusst, dass er sie gestern hier geküsst hatte. Nicht nur geküsst, um genau zu sein.
Vielleicht sollte sie die Tür schließen.
Allein der Gedanke ließ ihr Herz schneller schlagen. Er würde es gewiss als Einladung auffassen, an die Geschehnisse des gestrigen Nachmittags anzuknüpfen.
Mach schon die Tür zu, Isabel .
Nein, das konnte sie nicht. Was sollte er nur denken?
Na und?
Aber war es nicht viel zu früh am Tag, sich derart zu verlustieren?
Sie hatten ja gerade mal gefrühstückt.
Ein Blick in seine blau funkelnden Augen genügte, um ihr zu zeigen, dass er genau wusste, was gerade in ihr vorging. Herausfordernd sah er sie an, schien nur darauf zu warten, dass sie die Tür schloss und sich nahm, woran sie seit gestern unaufhörlich hatte denken müssen.
Sie machte noch ein paar Schritte in den Raum, ließ die Tür jedoch offen – schweren Herzens, wie sie sich eingestehen musste. Den Blick auf eine der Statuen gerichtet, versuchte sie es mit Unverfänglichem: „Woher rührt eigentlich Ihr Interesse an antiken Skulpturen?“
Er zögerte kurz, schien nach den rechten Worten zu suchen, und dieses kurze Zögern machte sie neugierig. „Ich habe mich schon immer für Bildhauerei interessiert“, meinte er schließlich. „In der Schule hat mich besonders die klassische Mythologie fasziniert. Wenig verwunderlich also, dass ich später bei meinen Reisen auf dem Kontinent eine Vorliebe für die antiken Kulturen entwickelte.“
Isabel lehnte sich an einen Sockel. „Sie haben Italien und Griechenland bereist?“
Er sah kurz beiseite. „In Italien herrschte Krieg, weshalb ich weiter gen
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